ENSEMBLE Nr. / N° 63 - Januar / Janvier 2022

17 ENSEMBLE 2021 /63 —– Doss i er F R A G E N A N D E N E X P E R T E N «Sich Auszeiten nehmen zum Geniessen» Timur Steffen ist Psychologe lic. phil., verantwortlich für die Beratungsstelle Stepped Care Kanton Bern des Psychiatriezentrums Münsingen PZM AG und im Vorstand des Berner Bündnisses gegen Depression. Er beantwortet einige Fragen zu psychischer Gesundheit aus Expertensicht. Von Adrian Hauser Herr Steffen, wo ist bei einer Depression die Grenze zwischen einer Verstimmung und einem Krankheitsbild, das behandelt werden soll? So wie es nicht eine Depression gibt, ist es auch nicht möglich, eine klare Grenze zu ziehen. Nebst diversen persönlichen Faktoren sollten aber unbedingt der Leidensdruck und die Einschränkungen im Alltag als Grundlage zur Beantwortung dieser Frage dienen. Wenn sich Negativität und Rückzug ausbreiten, ist eine Behandlung sicherlich empfehlenswert. Bei Verdacht oder konkreten Hinweisen zu suizidalen Gedanken oder gar Handlungen ist eine Behandlung unbedingt empfohlen. Was sind Anzeichen eines Burnouts? Es ist wichtig, bei einem Burnout von einer psychischen Dynamik auszugehen, einhergehend mit Persönlichkeitseigenschaften wie Leistungsorientierung oder Perfektionismus. Wenn sich dann Symptome wie Schlafstörungen, Verkümmerung sozialer Beziehungen, zunehmende Unlustgefühle oder Depersonalisierung, indem man sich selbst nicht mehr erkennt, dazugesellen, dann ist Vorsicht geboten. Wie kann man einem möglichen Erschöpfungszustand präventiv entgegenwirken? Man soll versuchen, ausgleichende, sinngebende Aktivitäten in den Alltag einzubauen. Sich Auszeiten nehmen zum Geniessen. Und das Wichtigste: über sein Innenleben und seine Gefühlswelt sprechen. Wie entstehen psychische Krankheiten? Gibt es bekannte Ursachen? Die Gründe sind so verschieden wie wir Menschen. Nebst möglichen genetischen Faktoren spielen erlernte Umgangsweisen mit Problemen und vor allem Lebenskrisen und deren Bewältigung eine grosse Rolle. Aber auch körperliche Krankheiten und soziale Probleme können psychische Krankheiten begünstigen. Es ist häufig eine Kombination, die das Fass zum Überlaufen bringt. Referat Lunch am Puls Timur Steffen hielt kürzlich ein Referat an der Veranstaltung «Lunch am Puls». Dies ist eine Veranstaltungsreihe der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. In seinem Referat erklärte er, dass gemäss Studien soziale Beziehungen, positive Aktivitäten, Hobbys und Natur das Wohlbefinden steigern. An erster Stelle der Glücklichmacher stehen Freunde und Gespräche, gefolgt von Sport und Musik. Familie, sinnliche Genüsse, Kultur und Spiritualität nehmen deutlich geringere Priorität ein. Bei Beratungen sei wesentlich, die objektive Lebenswelt des Gegenübers zu erfassen: finanzielle Situation, soziales Beziehungsnetz, psychische und physische Energie, Umwelt, Gesundheit, vorhandene Infrastruktur. Auf diese Weise liessen sich vorhandene oder fehlende Handlungsressourcen feststellen. Die subjektive Bewertung der Situation und damit die Definition von Lebensqualität sei allerdings immer eine Frage des Wertesystems und der persönlichen Haltung des Individuums. Der Mensch selber bestimmt, was seinem Leben Qualität gibt. Grundsätzlich kann nur jener glücklich sein, der sich selber für glücklich hält. Lunch am Puls greift immer wieder aktuelle Themen auf und lädt fachkundige Referentinnen und Referenten dazu ein. Die Teilnahme ist kostenlos. Weitere Informationen: www.diakonierefbejuso.ch Timur Steffen © zVg

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