10 Doss i er —– ENSEMBLE 2022 /64 Die Frage, wie wir mit Tieren umgehen, sollte einen höheren Stellenwert in unseren Kirchen haben, findet der Arbeitskreis Kirche und Tiere (AKUT). Das Ziel des ökumenischen Vereins ist es, das Bewusstsein für das Tierwohl in den Kirchen zu stärken und sich für einen respektvolleren Umgang mit den Tieren einzusetzen. Von Nicole Bonnemain* Die meisten Menschen würden sagen, dass es nicht in Ordnung ist, wenn es Tieren nicht gut geht, sie krank oder traurig sind oder leiden müssen. Sie sind auch der Ansicht, dass Tiere empfindungsfähige Lebewesen sind, mit denen wir eine Verletzlichkeit an Körper und Geist teilen, weswegen ihr Wohlergehen wichtig ist. In der Realität ist die Lage vieler Tiere auf unserer Welt jedoch dramatisch. Milliarden von Tieren müssen als «Nutztiere» in der Massentierhaltung oder in Versuchslabors ein Leben fristen, das ethisch höchst bedenklich ist. Wildlebende Tiere leiden unter Lebensraumschwund und Umweltverschmutzung, und weltweit sterben immer mehr Tierarten aus. Diese Tiere leiden still. Sie leben ihr Leben nach den Regeln ihrer eigenen Natur und können nicht für ihre Rechte kämpfen. Aber wir bestimmen über ihre Leben, wir beuten sie aus, weil wir stärker sind und es können. Der deutsche Philosoph Richard David Precht hat in seinem Buch «Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?» ein Gedankenexperiment angestellt, mit dem er unseren Umgang mit dem Rest der Schöpfung hinterfragt: Ausserirdische Lebewesen landen auf der Erde. Sie sind dem Menschen körperlich und geistig weit überlegen. Sie unterjochen die Menschen, lassen sie für sich arbeiten, führen medizinische Versuche mit ihnen durch, essen ihr Fleisch und verarbeiten ihre Haut zu Leder. Auch Menschenkinder werden gemästet und verspeist. Ihr grausames Tun verteidigen sie mit ihrer Überlegenheit und der Tatsache, dass ihnen Menschenfleisch einfach so gut schmeckt. Precht stellt damit die Frage: Kann es aus ethischer Sicht richtig sein, Tieren Gewalt anzutun, wenn wir den gleichen Umgang mit Menschen konsequent ablehnen? Bewahrung der Schöpfung Tatsache ist: Die Kirchen haben sich traditionell wenig für das menschengemachte Leid von Tieren interessiert. Dabei ist «die Barmherzigkeit gerade gegenüber Tieren auch in der christlichen Liebesethik zentral», wie der Theologe und Tierethiker Dr. Christoph Ammann sagt. Christoph Ammann ist seit 2016 Präsident des ökumenischen Vereins Arbeitskreis Kirche und Tiere «AKUT». Gemeinsam mit der Geschäftsleiterin Dr. Eveline Schneider Kayasseh, drei reformierten Pfarrpersonen und einer Katechetin im Vorstand setzt er sich dafür ein, dass Tiere in den Kirchen als Mitgeschöpfe wahrgenommen werden, denen wir Gerechtigkeit schulden. Ammann findet: «Es ist evident, dass uns, dass die Kirche das Leiden der Tiere etwas angeht.» Denn aus christlicher und biblischer Sicht hat der Mensch eine Verantwortung für das Tier als Mitgeschöpf. Menschen und Tiere geben sich ihren Lebensraum und ihre Lebensversorgung nicht selber. Sie verdanken ihr Leben Gott. Das verbindet sie. Menschen und Tiere sind nur ein Teil des grossen Gesamtgefüges der Schöpfung. Als Mitgeschöpfe verdienen die Tiere unsere Achtung und unseren Respekt. Auch sogenannte «Nutztiere» stellen aus christlicher Sicht weit mehr als ihr Nutzwert dar. Die christliche Sonderstellung des Menschen und die Beauftragung der Menschen zur Herrschaft über die Tiere und über die Erde insgesamt (1. Mose 1,27f; Psalm 8,7-9) sind vor dem geschilderten Hintergrund zu lesen und zu deuten. Die menschliche Herrschaft über die Tiere soll eine Herrschaft der Liebe und der Fürsorge sein. Als Gottes Ebenbild hat der Mensch die Schöpfung – und damit auch die Tiere – zu bewahren. Unsere Haltung zu den Tieren war in den letzten Jahrhunderten indessen weniger durch Liebe als durch Dominanz geprägt. Wir haben darüber hinaus so tiefgreifend in das natürliche Gleichgewicht unserer Umwelt eingegriffen, dass auch V E R E I N A K U T Für mehr gelebte Mitgeschöpflichkeit * Mitarbeiterin Refbejuso, Fachstelle Finanzen © KEYSTONE / NATURE PICTURE LIBRARY NPL / Willem Kolvoort Wildlebende Tiere leiden unter Lebensraumschwund und Umweltverschmutzung. Les animaux sauvages souffrent de la disparition de leur habitat et de la pollution de l’environnement.
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