8 Doss i er —– ENSEMBLE 2022 /64 Tiertheologie Aufseiten der Protestanten erwies sich der Arzt, Pfarrer und Theologe Albert Schweitzer ab Anfang des 20. Jahrhunderts als grosser Anwalt der Tiere, erzählt Matthias Zeindler. Er entwickelte eine «Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben» und vertrat die Idee, man müsse sich gegenüber jedem Lebewesen barmherzig zeigen. Er versuchte zudem, die Kirchgänger zu sensibilisieren für die Hölle der Tiere, die in Schlachthöfen getötet werden, oder für das Martyrium von Rindern, die bei Viehtransporten zusammengepfercht werden. Die tiefgreifenden Überlegungen bezüglich der Beziehung zwischen Mensch und Tier wurden in der protestantischen Welt aber in den 60er- und 70erJahren in Deutschland, Grossbritannien und den USA angestellt. Aufseiten der Katholiken brachte die Bewegung in den 1980er-Jahren den Papst Johannes Paul II. dazu, Franz von Assisi zum Schutzpatron der Ökologie und der Tiere zu erklären. Anschliessend arbeiteten Theologen und Pfarrer wie der anglikanische Priester Andrew Linzey, der eine sehr prononcierte Tiertheologie vertritt, darauf hin, die Natur des Tiers noch stärker aufzuwerten und in die Religionsgeschichte zu integrieren. Im 16. und 17. Jahrhundert stuften die Protestanten allerdings Tiere herab und rückten die Leben von Heiligen in den Hintergrund, in denen Tiere insbesondere dabei mitgeholfen haben, Menschen zu bekehren. Sie sahen Tiere als minderwertige Geschöpfe an. Der Katholizismus der Gegenreformation folgte dieser Tendenz ab der Mitte des 17. Jahrhunderts und montierte Tierstatuen in den Kirchen ab, wie der französische Historiker berichtet. Man müsse hierbei wissen, dass Hunde bis anhin religiöse Bauwerke betreten durften, fügt Eric Baratay an. Und es störte sich niemand daran, dass sich Schweine auf Friedhöfen an Knochen gütlich taten. Hoftiere erhielten zudem den Segen der Kirche. Das ging so weit, dass man das Standbild des Heiligen umkreiste, der ihr Schutzpatron war. Ziel dabei war, dass die Tiere vor Krankheiten verschont blieben. Tiersegnungen wurden ausgesprochen, wie man Segnungen für Häuser, Felder und das Meer aussprach, oder um sich vor Epidemien zu schützen. Ökumenische Gottesdienste 2015 ging Papst Franziskus noch einen Schritt weiter als Johannes Paul II., indem er die Arbeit der reformierten Theologen auf seine Weise weiterführte. In seiner Enzyklika Laudato si’ forderte er eine Trennung zwischen den griechisch-platonischen Philosophien und dem Christentum. Er rief zu einem echten biblischen Christentum auf, das gegenüber Tieren und Gottes Geschöpfen positiver eingestellt sein solle. Und er forderte die Gläubigen dazu auf, dem Beispiel des heiligen Franziskus zu folgen. «Man sieht, dass Überlegungen zur Ökologie, zur Theologie der Ökologie, zur Natur und zu den Tieren ein sehr gutes Mittel sind, ökumenisch tätig zu sein. Man umgeht so Themen, die für Kontroversen sorgen könnten, und man kann sich unter dem Dach einer gemeinsamen Vision der Schöpfung annähern», führt der Tierhistoriker aus. Die in Deutschland Ende der 80er-Jahre aufkommenden ökumenischen Gottesdienste mit Tieren haben nach und nach auch in der Schweiz Fuss gefasst. Es ist nun sechs Jahre her, dass gegen 150 Personen im Berner Jura einem Gottesdienst mit Tieren beiwohnten. Organisiert wurde er von Françoise Surdez, Pastorin von Par8. Seither empCulte œcuménique avec animaux en plein air à Sursee. Ökumenischer Tiergottesdienst im Freien, Sursee. © KEYSTONE / Urs Flüeler
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