15 ENSEMBLE 2022 /65 —– Doss i er D G O V E R N A N C E D E R K I R C H G E M E I N D E N Zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab? Das Governance-Modell der Realität annähern und auf flexiblere Lösungen setzen – das ist gegenwärtig bei einer wachsenden Anzahl von Kirchgemeinden der Trend. Im Bezirk Jura verfolgen mehrere von ihnen interessante Ansätze. Von Nathalie Ogi «Es gibt tatsächlich einen Paradigmenwechsel in Richtung von Modellen, welche die Mitsprache stärker gewichten und sowohl Laien als auch Kirchgemeindemitglieder in bestimmte Projekte integrieren», führt der Regionalpfarrer Marc Balz aus. Das Governance-System der Kirchgemeinden hat sich zwar bislang bewährt, kann aber heute nicht mehr wirklich überzeugen. Es ist schwierig geworden, Freiwillige für den Kirchgemeinderat zu finden. Einerseits wegen der Komplexität der Aufgabe und des Zeitaufwands, andererseits und vor allem aber auch wegen der heiklen Position als hierarchischer Vorgesetzter von besoldeten Festangestellten, sei es nun ein Pfarrer, eine Diakonin oder ein Katechet. Es sind immer mehr alternative Lösungen zu beobachten. Die Kirchgemeinde Delsberg hat eine gut funktionierende Governance-Kultur entwickelt, die einen Mittelweg zwischen dem herkömmlichen Modell und einem partizipativeren System darstellt. «Im Laufe der Jahre haben wir ein Beteiligungsmodell aufgebaut, das die Verantwortung zwischen dem elfköpfigen Kirchgemeinderat und den sechs Festangestellten (vier Pfarrpersonen, ein Diakonin und Jugendbetreuerin sowie eine Lernvikarin) aufteilt», erklärt die Pfarrerin Sarah Nicolet. Etwa alle zwei Wochen findet ein Gespräch unter den Pfarrpersonen (das sogenannte «colloque pastoral») statt, dem jedes zweite Mal auch der Ratspräsident beiwohnt; damit wird die Verbindung zu den Kirchgemeinderatsmitgliedern sichergestellt. Der Kirchgemeinderat selbst tritt einmal pro Monat zusammen. Jedes zweite Mal ist im Turnusverfahren ein Mitglied des colloque pastoral anwesend. Ein Kirchgemeindebüro, zusammengesetzt aus der Präsidentin, den zwei Vizepräsidenten und einem Mitglied des colloque pastoral, bereitet die Sitzungen des Kirchgemeinderats vor. «Das Modell beugt Spannungen vor und sorgt dafür, dass die Informationen gut fliessen», betont die Pfarrerin. Zwischen dem Team der Festangestellten und dem Kirchgemeinderat hat sich eine echte Zusammenarbeit entwickelt. Partizipative Projekte Es werden partizipative Projekte lanciert wie etwa das «café spirituel» in Delsberg. Jedes Treffen wird von drei Kirchgemeindemitgliedern organisiert, wovon eines für die Moderation der Diskussion zu einem ausgewählten Thema verantwortlich zeichnet. Im Par8 in Reconvilier wird die Idee einer «Pilgerreise, die im Innern entsteht» verfolgt. Das neuartige Projekt lädt ein zum Beschreiten eines persönlichen und mit anderen geteilten spirituellen Wegs, der einem Ansatz des inneren Wandels folgt, führt Pfarrer Reto Gmünder aus. Einzige Vorgabe ist ein erster «Kickoff»-Abend, der am 2. Mai über die Bühne geht. Vier bis fünf weitere Treffen sollen bis im November folgen. Alle sind eingeladen, Vorschläge zu machen. «Die Idee dahinter ist, partizipativ vorzugehen und eine andere Form der Projektorganisation zu erproben», ergänzt der Pfarrer. Dieser agilere und flexiblere Ansatz entspricht den Erwartungen der Gesellschaft besser. «Wir stellen heute fest, dass sich die Leute weniger mit einer Kirchgemeinde und eher mit Projekten identifizieren», erklärt Marc Balz. Selbst die Rolle der Pfarrpersonen wird hinterfragt. Im Vordergrund steht die Idee von Aufgaben, die sich ergeben, d. h. Stellen, die nicht mehr fest an Pfarrerinnen oder Diakone gebunden sind. Und man könnte sich durchaus auch vorstellen, dass Pfarrpersonen spezielle Bereiche abdecken und entwickeln, wie etwa Fragen zu LGTB. Das könnte für die Kirche eine neue Möglichkeit sein, auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Gesellschaft einzugehen. Sarah Nicolet © zVg
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