20 Fokus —– ENSEMBLE 2022 /65 E U R O P A S A U S S E N G R E N Z E N «Eine never-ending story» Der Berner Pfarrer Christian Walti hat sich ein Bild von der Situation geflüchteter Menschen an der bosnisch-kroatischen Grenze gemacht. Sein Fazit: Hilfe vor Ort ist gut, aber die wirklichen Probleme liegen anderswo. Von Selina Leu* Christian, im März bist du für eine Woche nach Bosnien gereist. Was war deine Motivation? Ich wollte herausfinden, wie es den Menschen an den EU-Aussengrenzen geht, sowohl jenen, die versuchen, die Grenze zu überqueren, als auch den Einheimischen. Zudem wollte ich Klarheit darüber erhalten, welche Hilfsangebote es gibt und wie wir diese als Kirche unterstützen können. Beginnen wir mit der lokalen Bevölkerung. Wie geht es den Menschen? Bosnien ist kein reiches Land, und die lokale Bevölkerung fühlt sich in vielen Bereichen vernachlässigt. Die Wunden des Kriegs sind immer noch zu spüren. Am Anfang der Reise dachte ich, wir gehen jetzt an die Grenze Europas – doch diese Haltung musste ich revidieren. Die Einheimischen erleben sich klar als Teil Europas. Die Aussage, dass der Ukraine-Krieg nun der erste Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg sei, ist für sie beispielsweise sehr schmerzhaft. Wie gehen die Einheimischen mit der Situation der vielen Flüchtenden um? Die lokale Bevölkerung hat viele tolle und menschliche Initiativen gestartet – und das trotz der oftmals eigenen schwierigen Situation. Es gibt aber sicher auch Angebote, in welchen die Bevölkerung sich bereichert. Und dann gibt es auch noch Hilfsangebote von Menschen aus dem Ausland. Es ist ein ziemliches Chaos. Mir wurde durch die vielen Gespräche vor Ort klar: Die lokale Bevölkerung tut unglaublich viel und weiss am besten, wie eine sinnvolle Unterstützung geht – auf offiziellen Wegen, aber noch besser und effizienter auf den inoffiziellen. Was heisst das genau? Wir besuchten etwa das «safe house», ein Haus, welches von Privaten finanziert und geführt wird. Dort gibt es einen Aufenthaltsraum, die Menschen können in der Wärme sitzen, Waschmaschinen benutzen und ihre Handys aufladen. Diese Unterstützung ist sehr wertvoll. Und die offiziellen Angebote? Das Rote Kreuz sucht als einzige offizielle Organisation Flüchtende in ihren Behausungen auf. Wir konnten die Organisation auf einem solchen Rundgang begleiten. Die Mitarbeitenden brachten Essenspakete mit; die Kontakte waren aber meist kurz, unpersönlich und sehr formell. Diese UnterBaracken für Geflüchtete. Baraques pour les réfugiés. © Christian Walti
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