26 Fokus —– ENSEMBLE 2022 /65 D M I G R A T I O N Hilfe für Migranten in französischen Alpen Seit sechs Jahren machen sich in den französischen «Hautes-Alpes» Freiwillige jede Nacht auf, umMigranten in Sicherheit zu bringen, die versuchen, die franko-italienische Grenze zu überqueren. Zwei von diesen Freiwilligen erzählen, welche Erfahrungen sie dabei machen und was sie zum Handeln motiviert. Von Nathalie Ogi «Wir wollen nicht, dass die Berge zu einem Hindernis werden wie das Mittelmeer.» Michel Rousseau ist einer der Gründer des Vereins «Tous Migrants». Aus Empörung über das schreckliche Bild des kleinen Syrers Aylan Kurdi, der 2015 tot an einem griechischen Strand aufgefunden wurde, und ganz allgemein wegen der Art und Weise, mit der Europa Migranten an seinen Grenzen zurückwies, entstand die Bürgerbewegung spontan in Briançon, einer Stadt mit 12 600 Einwohnerinnen und Einwohnern, die an das italienische Val di Susa angrenzt. «Ein Jahr danach kamen die ersten Menschen über die Berge», erzählt Michel Rousseau. «Wir konnten sie doch nicht einfach sterben lassen», fügt der Sechzigjährige hinzu. Die einzige «Antwort» der französischen Regierung habe darin bestanden, die Militär- und Polizeipräsenz zu verstärken, um diese Menschen nach Italien zurückzudrängen. Das machte deren Weg über die Berge noch riskanter. Seit Beginn des Jahres sind ca. 260 Personen abkommandiert, die Grenze zu kontrollieren. Sie haben keine andere Aufgabe, als in den Bergen Personen aufzuspüren, die ausländisch aussehen. Die meisten dieser Personen werden mehrmals nach Italien zurückbefördert. Irgendeinmal schaffen sie es aber doch über die Grenze, allerdings unter gefährlichen Umständen. Zwischen 1. Januar und 17. November 2021 wurden gemäss Präfektur des Departements «Hautes-Alpes» 3050 Personen zurückgeführt, davon 40 Prozent afghanischer, 18 Prozent iranischer, 9 Prozent marokkanischer und 4 Prozent algerischer Nationalität sowie 29 Prozent aus weiteren Ländern. Diese Politik, die an der gesamten Grenze zu Italien und zu Spanien zur Anwendung kommt, wird von lokalen und nationalen Organisationen angeprangert, die darauf hinweisen, dass damit grundlegende Menschenrechte verletzt würden. Sie wird auch vom «Défenseur des droits» (DDD) gegeisselt, einer unabhängigen Verwaltungsbehörde, die insbesondere im Hinblick auf die Umsetzung des Dubliner Übereinkommens zum Einsatz kommt. Seit 2016 sind fünf Personen gestorben, drei werden vermisst, ein Dutzend wurde ernsthaft verletzt und Hunderte trugen Blessuren unterschiedlichen Ausmasses davon. Gewalt Zusammen mit «Ärzte der Welt» hat der Verein «Tous Migrants» eine mobile Einheit auf die Beine gestellt, die Migrantinnen und Migranten hilft und die Freiwilligen unterstützt, die den Menschen zur Seite stehen, welche die Berge überqueren. Ein Fahrzeug dreht in der Nacht Runden, im Auto fahren jeweils ein Freiwilliger des Vereins und eine medizinische Fachperson der Organisation «Ärzte der Welt» mit. Über den ganzen Winter hinweg sind es gegen 200 Freiwillige, die sich bei der Hilfe in den Bergen regelmässig ablösen. Unter ihnen sind Personen aus der Region, aber auch andere – darunter viele junge Menschen –, die von ausserhalb kommen und eine Woche, einen Monat © Juliette Pascal Über 200 Freiwillige versuchen, die Menschen vor dem Tod zu bewahren. Plus de 200 bénévoles tentent de sauver les gens de la mort.
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