15 ENSEMBLE 2022 /66 —– Doss i er und merken, dass ihre Kompetenzen und Passionen geschätzt und benötigt werden. Hier schliesst sich der Kreis zur Eventkultur: der Gottesdienst als Multimediaevent mit einem enormen Mitarbeiteraufwand, der Möglichkeiten eröffnet, individuelle Begabungen im musikalischen, technischen, grafischen, organisatorischen und kommunikativen Bereich einzubringen. Herausforderungen Ich möchte diesen Beitrag mit dem Hinweis schliessen, dass auch und gerade auf Kirchen wie die ICF massive Herausforderungen zukommen. Zum einen verdankt sich ihr Erfolg einem «Überraschungseffekt». Dieser stellt sich ein, wenn traditionell sozialisierte Menschen einem Multimediaevent beiwohnen – der ICF-Claim lautet «Kirche neu erleben». Er setzt aber alte, verstaubte Erlebnisse mit Kirche voraus. Die neuen, nachchristlichen Generationen bringen diese nicht unbedingt mit. Sie haben keine negativen Erfahrungen mit der Kirche gemacht, sondern gar keine. Welches Gottesdienstkonzept auf sie passt, steht nicht fest. Zum anderen könnte es sein, dass hochtechnisierte, individualisierte Gemeindemodelle ihre eigenen Absichten unterlaufen. Der mit der Pandemie einhergehende Digitalisierungsschub hat gezeigt, wie schnell und selbstverständlich auf Videostreaming von Gottesdiensten umgestiegen wird. Beteiligungskirchen wie die ICF leben aber von der Community vor Ort. Die Möglichkeit, sich jederzeit in die Onlineangebote von Performancekirchen einzuklinken, kommt einer individualisierten Gesellschaft entgegen. Sie könnte aber erfahrungsorientierte, post-institutionelle Kirchen gefährden. Eine zeitgemässe Gestalt von Kirche zu finden und christliche Gottesdienste als Teilhaber unserer Gesellschaft und Kultur neu zu «erfinden», bleibt also eine gemeinsame Aufgabe derer, die das Christentum noch nicht als museales Kulturgut archivieren, sondern zukunftsfähig gestalten möchten. * Mitarbeiter RefLab ganzheitlichen Bewegung zu werden. Verbindlichkeit als Wert an sich ist bei den neuen Generationen schwach ausgeprägt. «Unsere Leute stimmen mit den Füssen ab», sagt man in der ICF gerne. Sie lassen sich nicht durch ein formales Zugehörigkeitsgefühl halten, sondern kommen und gehen nach Belieben. Die meisten sind in einer Landes- oder Freikirche aufgewachsen. In der ICF finden sie eine andere Art von Kirche. Hier ist keine institutionelle Mitgliedschaft, nur individuelle Überzeugung nötig. Lebensnähe Ein Blick auf ICF-Predigten macht deutlich: Sie wollen die Praxisrelevanz des christlichen Glaubens zeigen. Ganze Predigtserien beschäftigen sich damit, wie man mit schwierigen Menschen umgeht, was Beziehungen frisch hält, wie Sexualität gelebt werden kann, was das Christsein für Arbeit und Erziehung bedeuten kann. Sicher wird dabei die Grenze zur simplifizierenden «How to»-Anleitung nach US-Vorbild zuweilen überschritten. Die oft konservativen Werte im Bereich Sexualethik haben der ICF ausserdem viel schlechte Presse eingebracht. Darüber hinaus könnte man eine individualistische Engführung der Themen beklagen: Überindividuelle Probleme und soziale Missstände werden selten behandelt, politische Fragen meist ausgeklammert. Aber: Wer einen ICF-Gottesdienst besucht, fühlt sich persönlich angesprochen. Wichtig ist das für die «Distanzierten», die noch Mitglied einer Kirche sind, ihre Zugehörigkeit aber als belanglos wahrnehmen. Sie sollen im ICF die Überzeugung gewinnen, dass der christliche Glaube mitten in ihr Leben hineinspricht. Es versteht sich, dass mit dieser Lebensnähe die Bereitschaft der am Gottesdienst Beteiligten einhergeht, in Persönliches Einblick zu geben. Es darf in die Zweifel, Kämpfe und Hoffnungen der Pastorinnen und Pastoren hineingeschaut werden. Beteiligung Ein SRF-Interviewmit jüngeren Besuchenden zeigt, was die «Kultur der Beteiligung» für das (Über-) Leben der ICF bedeutet: Unisono sagten die Befragten, dass sie sich wegen der persönlichen Einflussnahme zugehörig fühlten. Die eigenen Begabungen einbringen zu können und nicht Zuschauende, sondern Beteiligte zu sein, ist entscheidend. Damit ist mehr gemeint als einfach: «Bei uns kann jeder anpacken und etwas schaffen.» Was junge Menschen begeistert ist, dass ihr Potenzial gesehen wird. Das macht auch zeitgeschichtlich Sinn: Je stärker der Individualismus, desto wichtiger wird es für Kirchenbesuchende, ihre Stärken und Begabungen einsetzen zu können. Menschen wollen an der Idee von «Kirche» beteiligt werden, möchten einen individuellen Betrag dazu leisten Verschiedene Sinne werden auf eine moderne Art angesprochen. Tous les sens sont sollicités par une mise en scène résolument moderne. © ICF
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