28 Fokus —– ENSEMBLE 2022 /66 in Lagern, in denen eine menschenwürdige Existenz unmöglich ist. Das ist so gewollt. «Kommt bloss nicht!», lautet die Botschaft. Die wenigen, die es bis zu uns schaffen, erhalten in der Schweiz in der Regel maximal eine vorläufige Aufnahme. Und obwohl sie aus vergleichbaren Gründen geflohen sind, heisst das für sie: Familiennachzug frühestens nach drei Jahren und auch das nur unter restriktiven Bedingungen. Auch haben sie keine Reisefreiheit in Europa – im Gegenteil: Nur ganz ausnahmsweise dürfen sie enge Familienmitglieder im grenznahen Ausland besuchen. Und auch der Auszug aus einer Kollektivunterkunft in eine eigene Wohnung ist für diese Menschen mit viel grösseren Hürden verbunden. Von Gratis-ÖV und Telefonie ohne Kosten ganz zu schweigen. Gewichtige Fragen Warum das alles, wenn es doch – wie man jetzt sieht – auch anders ginge? Warum diese Härte im Umgang mit Menschen, die aus ähnlich nachvollziehbaren Gründen wie die Ukrainerinnen und Ukrainer geflüchtet sind? Niemand, der aktuell ukrainische Geflüchtete beherbergt, muss sich rechtfertigen, warum er oder sie keine Menschen aus Syrien aufgenommen hat. Ein ganz herzliches Dankeschön gebührt allen für das Engagement! Aber die offizielle Schweiz könnte für Menschen, die aus ähnlichen Gründen flüchten wie jene aus der Ukraine, dieselben Rahmenbedingungen schaffen. Aufgabe der Kirche muss es sein, neben der tatkräftigen Unterstützung der ukrainischen Geflüchteten immer wieder daran zu erinnern, dass es auch Geflüchtete aus anderen Ländern gibt, die ein Anrecht auf eine diskriminierungsfreie Aufnahme haben. * Leiter Fachstelle Migration Geflüchtete aus der Ukraine werden unbürokratisch aufgenommen und erhalten den Schutzstatus S, ein Novum in der Schweiz. Das ist löblich. Menschen, die nicht aus der Ukraine geflüchtet sind, treffen aber oft auf Probleme, nicht sofort auf einen geschützten Status. Das wirft Fragen auf. Ein Kommentar. Von Carsten Schmidt* Es ist berührend, mit welch offenen Armen Europa und die Schweiz die aus der Ukraine Geflüchteten empfangen. Zehntausende kommen unkompliziert zu einem Schutzstatus; Private bieten ihre Betten an; Kirchgemeinden und Vereine sammeln Hilfsgüter und organisieren Deutschunterricht oder Alltagsbegleitung. Die grossen Unternehmen zeigten sich ebenfalls grosszügig: Geflüchtete konnten in der Anfangszeit gratis telefonieren oder den ÖV benutzen. All das ist ohne Wenn und Aber begrüssenswert. Es sei den Menschen aus der Ukraine von Herzen gegönnt und hoffentlich hält dieses Engagement noch lange an. Wenn nachstehend ein paar «Aber» kommen, soll damit auf keinen Fall diese grossartige Unterstützung schlechtgeredet werden. Die Einwände beziehen sich nicht auf die zivile Unterstützung der Geflüchteten aus der Ukraine, sondern auf den staatlichen Umgang mit Geflüchteten aus anderen Herkunftsländern. Es ist wenig erstaunlich, dass sie mit einer gewissen Ungläubigkeit zur Kenntnis nehmen, wie man in der Schweiz auch mit Geflüchteten umgehen kann: nämlich so ganz anders als mit ihnen, die von einer Willkommenskultur nur träumen können. Dabei sind die Fluchtursachen teilweise sehr ähnlich. In Syrien flüchten die Menschen sogar vor denselben Bomben der russischen Luftwaffe wie in der Ukraine. Gleiches erlebt, ungleich behandelt Aber während Geflüchtete aus der Ukraine visumsfrei in die EU einreisen und sich in ihr frei bewegen können, stranden Afghanen und Syrerinnen meist schon an der EU-Aussengrenze. Ein Teil von ihnen wird mit brutalen und illegalen Pushbacks daran gehindert, überhaupt europäischen Boden zu betreten. Auf beiden Seiten der EU-Aussengrenze landen die Menschen häufig über Jahre hinweg A S Y L W E S E N Für eine Gleichbehandlung aller Schutzbedürftigen
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