30 Fokus —– ENSEMBLE 2022 /66 schiedenen Religionen. Sie ist als Muslimin aufgewachsen. «Ich hatte nie Probleme mit anderen Religionen. Zum Beispiel waren unsere Nachbarn Orthodoxe, Katholiken oder Juden. Alle haben für sich gebetet, man hat einander respektiert und besucht. An Weihnachten haben wir uns so gefühlt, als ob das auch unser Feiertag ist. Und auch für unsere Nachbarn war es so, als ob Bayram1 ihr Feiertag wäre.» Rubija ergänzt: «Erst mit dem Ausbruch des Krieges hat sich das alles geändert.» Vorurteile, Unverständnis, Ablehnung Auf die Frage, wie ihre Familie auf die andere Religionszugehörigkeit der Partnerin bzw. des Partners reagiert hat, meint Noël, dass vor allem die Cousins und Cousinen ihrer eigenen Kinder die Bi-Religiosität am Anfang nicht verstanden und akzeptiert haben. Die Kinder von Rubija und Noël mussten sich bei der jüngeren Verwandtschaft immer wieder erklären. So mussten sie sich seitens ihrer Cousins und Cousinen anhören, dass es keinen anderen Weg zu Gott gebe ausser über Jesus. Rubija sagt: «Meine Freundinnen haben schon gedacht, dass bei mir zu Hause ein Riesenkreuz steht.» Doch in ihrem Zuhause findet man keine religiösen Symbole. Rubijas Umfeld äusserte die Befürchtungen, dass sie die Religion wechseln würde. Doch das hat für sie nie zur Debatte gestanden, für sie war immer klar, dass sie Muslimin bleiben wird. Familie feiert Ramadan und Weihnachten Auch ihre Kinder erziehen sie bi-religiös. Doch wie sie die Kinder erziehen wollen, wussten sie zu Beginn nicht – dies zeigte sich erst mit der Zeit. So besuchten die Kinder von klein auf die Moschee und später auch die kirchliche Unterweisung. Die Eltern befürchteten zu Beginn, dass die beiden Religionen bei den Kindern für Verwirrung sorgen könnten. Doch für Rubija und Noël war in erster Linie wichtig, dass ihre Kinder über die Familienreligionen, den Islam und das Christentum, Bescheid wissen. «Nachher können sie glauben, was sie wollen», fügt Noël hinzu. Die Kinder werden in den religiösen Alltag miteinbezogen, aber alles auf freiwilliger Basis. So fasten sie alle zusammen als Familie während des Ramadans. Und an Weihnachten haben sie als Familie zusammen früher den Tannenbaum bestaunt. Heute wären die Kinder aber zu erwachsen, um sich noch für den Tannenbaum zu begeistern, fügt Noël hinzu. Für RuIn der Schweiz gibt es viele Paare, die in einer bi-religiösen oder bikulturellen Beziehung sind. Wie gestalten solche Paare ihre Beziehung? Wie erziehen sie ihre Kinder? Welche Reaktionen erhalten sie aus ihrem Umfeld? Antworten von einem muslimischchristlichen Paar aus Biel. Von Jasmin Kneubühl* An einem heissen Mai-Nachmittag reise ich nach Biel. Eine besondere Aufgabe wartet auch mich: Ich darf ein Interview mit einem bi-religiösen Paar führen. Mit einer Vielzahl von Fragen im Gepäck bin ich gespannt auf das Gespräch. Meine Interviewgäste sind Rubija und Noël. Die beiden sind verheiratet und haben einen Sohn aus Rubijas erster Ehe und zusammen eine Tochter und einen Sohn. Wir treffen uns in ihrem Garten für das Gespräch. Früher Religionswechsel im Jugendalter Noël ist im Kongo aufgewachsen. Mit seiner Familie besuchte er regelmässig die Messen der katholischen Kirche. Doch er habe den Katholizismus nie wirklich verstanden. «Die Messen waren mehrheitlich auf Lateinisch, auch alle Lieder waren lateinisch. Ich habe darum nicht viel verstanden und es war mir alles fremd.» Dies sei der Zeitpunkt gewesen, als Noël begonnen habe, über Religionen zu reflektieren. Darum konvertierte er später im Kongo zur reformierten Kirche. Sein Bruder hingegen hat eine Zeit lang in einem Internat gewohnt, dort den Islam für sich entdeckt und konvertiert. So lebte Noël schon von klein auf mit verschiedenen Religionen friedlich unter einem Dach. Er ist vor rund 35 Jahren als Geflüchteter in die Schweiz gekommen. Nebst einem Studium der sozialen Arbeit hat er noch zahlreiche andere Weiterbildungen absolviert. Er hat sich unter anderem auf Genderstudies und interkulturelle Theologie spezialisiert. In Biel arbeitet er hauptsächlich für die Kirchgemeinde Biel und mit Migrationskirchen. «Man hat einander respektiert und besucht» Noëls Ehefrau Rubija kommt aus Bosnien und ist ebenfalls in die Schweiz geflüchtet. Hier haben sich die beiden auch kennengelernt. Noël hat damals – vor rund 22 Jahren – in einem Durchgangszentrum gearbeitet und dort hat er Rubija das erste Mal gesehen. Auch die gelernte Maschinentechnikerin kam schon früh in Berührung mit verP O R T R Ä T Ü B E R E I N B I - R E L I G I Ö S E S P A A R Eine Liebe, zwei Religionen 1 Türkische Bezeichnung für religiöse und staatliche Feiertage
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