18 Doss i er —– ENSEMBLE 2022 /67 U K R A I N I S C H E G E F L Ü C H T E T E Sicherheit dank kirchlicher Präsenz Im Berner Oberland leben überdurchschnittlich viele ukrainische Schutzsuchende. Wie zwei lokale Kirchgemeinden damit umgehen. Von Selina Leu* Der gefüllte Kühlschrank steht sinnbildlich für eine Kultur des Teilens und Teilhabens, die sich in den letzten Monaten in Innertkirchen etabliert hat. Begonnen hat alles kurz nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine im Februar dieses Jahres. Nur wenige Tage später standen gegen vierzig ukrainische Menschen in Innertkirchen – einem kleinen Dorf im östlichsten Zipfel des Kantons Bern. Die Reise für die Schutzsuchenden organisiert und das Obdach vermittelt hatte der kirchlich getragene Verein «Bär und Leu», der seit Jahren in der Ukraine aktiv ist. Im Eiltempo «Aufgrund unserer dezentralen Lage hatten wir bisher keine Erfahrungen mit geflüchteten Menschen», sagt der Innertkirchner Pfarrer Beat Abegglen. Die Gemeinde, die am Fusse des Grimselpasses liegt, beherbergt zwar sieben SAC-Hütten und eine Touristeninformation. «Aber eine Infrastruktur zur Unterstützung von Geflüchteten fehlte bisher.» So mussten im Eiltempo Strukturen gelegt und Fragen geklärt werden. Die Gemeindeverwalterin und der Dorfpfarrer setzten sich zusammen und entschieden: Für Fragen rund um Aufenthaltsstatus, Wohnen und Arbeit ist die Gemeinde zuständig; für persönliche Kontakte, Seelsorge und Direkthilfe die reformierte Kirche. Die Kirchgemeinde startete den Treffpunkt «Sonntags um vier»: Jeweils dann öffnete der Pfarrer die Tore zur Kirche für alle, egal ob einheimisch oder eben erst angekommen. «Menschen aus dem Dorf brachten Kleider und andere Hilfsgüter vorbei, ukrainische Menschen fanden einen Ort, an dem sie sich willkommen fühlen durften», so der Pfarrer. Dank dem offenen Treff habe man schnell erkennen können, was die Bedürfnisse der Neuankömmlinge sind – und was sie selbst mitbringen. Zwei Jungen beispielsweise sind musikalisch sehr begabt, heute sind sie Teil einer neu gegründeten Band. Zudem konnten lokale Gastrobetriebe, die händeringend nach Personal suchen, bald schon erste Anstellungsverträge mit den neuen Talbewohnerinnen und -bewohnern unterzeichnen. Um Bedürfnis und Angebot möglichst passgenau zusammenzubringen, eröffnete Beat Abegglen eine Whatsapp-Gruppe. Niederschwellig und unkompliziert können sich so alle einbringen. Und so kam es, dass das Bild eines Kühlschrankes die Runde machte: Eine einheimische Frau, deren Eltern im Seeland Gemüse produzieren, transportiert regelmässig Zweitklassgemüse in die Region. Das Foto des prall gefüllten Kühlschranks, den die Kirchgemeinde extra an einem öffentlich zugänglichen Ort hingestellt hat, gibt Auskunft über das Angebot – und plötzlich begann sich der Kühlschrank auch anderweitig zu füllen. Für den Pfarrer sind die Neuankömmlinge eine Bereicherung für die Kirchgemeinde, die sich als lebendige Gemeinschaft definiert. «Diese Vision konkretisiert sich nun auf unerwartete Weise durch junge Familien, die vor dem Hintergrund schwieriger Umstände auch Lebenswillen und Zukunftshoffnung symbolisieren», sagt Beat Abegglen. Es seien zwar nicht alle ukrainischen Menschen im Dorf geblieben, aber an jene rund dreissig Personen, die weiterhin da wohnten, will Beat Abegglen ein klares Signal aussenden: «Ihr seid bei uns willkommen!» Zudem sieht der Pfarrer die Neuankömmlinge als Chance für die eigene Gemeinde: «Als Kirche können wir unseren diakonischen Auftrag nun ganz konkret wahrnehmen.» Knapp dreissig Kilometer westlich von Innertkirchen hat Olga Kuzyo ein neues Zuhause gefunden. Die dreissigjährige ukrainische Augenärztin hat mit ihrer Tochter ihre Heimat eine Woche nach Kriegsbeginn verlassen – die Kleine musste ihren vierten Geburtstag ohne ihren Vater feiern. Sie sei einzig wegen ihrer Tochter hier, sagt Olga Kuzyo, während sie das Mädchen liebevoll auf ihren Knien wiegt. «Noch heute erstarrt sie, wenn ein Flugzeug über unsere Köpfe fliegt.» Dankbar Olga Kuzyo ist eine von knapp hundert ukrainischen Menschen, die heute im ehemaligen Heilsarmeeheim in Ringgenberg lebt. Sie teilt sich ein Zimmer mit ihrer Tochter, Bad und Küche mit ihren Landsleuten. Trotz den bescheidenen Verhältnissen ist sie extrem dankbar: «Die Schweizer haben uns sehr gut empfangen. Und es tut so gut, in Sicherheit zu sein.» Mit Sicherheit meint Olga Kuzyo nicht nur das Fehlen einschlagender Raketen und Bomben, sondern vor allem das Gefühl, in der schwierigen Si-
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