32 Fokus —– ENSEMBLE 2022 /67 Die Beratungsstelle Leben und Sterben der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn hilft in Krisen. Remo Beutler, Leiter der Fachstelle erläutert Beispiele aus seinem Alltag. Von Remo Beutler* Ein plötzlicher Unfalltod eines geliebten Menschen – pflegeabhängig werden durch eine Behinderung – eine unheilbare Krankheit – eine lebensbedrohliche Diagnose – die unausweichliche Verlegung ins Altersheim – der Verlust des vertrauten und lieben Lebenspartners – chronische Schmerzen im hohen Alter – die Mutter liegt im Sterben und die Kommunikation mit den Geschwistern ist schwierig: Wie kann ich trotzdem gut Abschied nehmen ...? Solche Situationen lösen in den meisten Fällen eine Krise aus. Selten reagieren wir emotionslos, gelassen und stoisch auf einen der beschriebenen möglichen Lebensumstände. Es tauchen Fragen und Gefühle auf wie: Weshalb gerade ich? Wie schaffe ich das? Mir ist das Leben verleidet! Ich möchte sterben! Das Leben ist ungerecht! Was soll ich nur tun? Hier bietet die Beratungsstelle Leben und Sterben den Betroffenen Raum und Gehör und hilft, Wege im Umgang mit der Krise zu suchen. Der Leiter der Beratungsstelle nimmt sich ausnahmslos aller Fragen und Gefühle an, die im Zusammenhang mit Krisen in der Konfrontation mit dem Lebensende und unserer Endlichkeit auftauchen. Die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn unterstützen die Beratung und fördern den Dialog über Sterben und Tod für Einzelne, Gruppen und in der Gesellschaft. Deshalb hat sie eine bis Ende 2023 befristete Projektstelle geschaffen und finanziert diese mit einem von der Synode gesprochenen Verpflichtungskredit. Die Stelle soll ab 2024 eine von Refbejuso mitgetragene, jedoch auf einem Verein basierende Form erhalten. Sie ist ein erweitertes und fachspezifisches Angebot zur bestehenden Seelsorge in allen Kirchgemeinden, speziell rund um alle spirituell-existenziellen Fragen zum Lebensende. DREI GESCHICHTEN AUS DEM BERATUNGSALLTAG Herr S. gewinnt neue Sicherheit Er lebe allein und zurückgezogen, fühle sich oft einsam. Seine Angst: «Ich falle in meiner WohU M G A N G M I T K R I S E N ? Beratungsstelle Leben und Sterben! nung eines Tages tot um und niemand findet mich während Tagen. Das soll nicht passieren!» Seine Mobilität sei sehr stark eingeschränkt, seit er kein GA mehr besitze. Er kann es sich nicht mehr leisten. Auch seien viele seiner Bekannten und Freunde gestorben. Was gibt ihm Sicherheit? Welche Netze tragen ihn? Wir besprechen seine möglichen Bezugspersonen oder Aktivitäten und reden über die Patientenverfügung. Frau Z. soll über Leben und Tod entscheiden Ihr Mann liege auf der Intensivstation, seit der überraschenden Notoperation ist er im Komma. Sein Zustand sei stabil schwach. Sein Leben hänge, laut Auskunft der Ärzte, an einem dünnen Faden. Die Frau gibt mir die Patientenverfügung zu lesen. Da steht: keine lebensverlängernden Massnahmen. Sie ist im Zwiespalt: Soll sie ihren Mann «gehen lassen»? Sie bittet mich um die Begleitung zum anstehenden Gespräch mit Operateur, Notfallarzt und Pflege. Sie braucht seelischen Beistand, Beratung und möchte für ihren Mann «das Richtige» tun. Ich halte mit ihr zusammen ihre Zweifel, Fragen und Verunsicherungen aus. Ich unterstütze sie in ihren Gefühlen, Überzeugungen und Absichten. Ich versuche sie zu stärken bei dem, was ihr Befreiung, Entlastung und Frieden schenkt. Der Mann wacht unverhofft und zur Überraschung aller kurz nach dem Gespräch auf. Da er nach wie vor intubiert ist, haben wir Augenkontakt. Er antwortet mit Kopfbewegungen für Ja/ Nein auf unsere Fragen. Ein letztes Aufhorchen, Hoffen und Lebenszeichen, bevor er seine Augen wieder schliesst, einschläft und am folgenden Tag schliesslich stirbt. Herr A. nimmt Abschied und findet sich selbst Zwei seiner besten Freunde liegen im Sterben, unabhängig voneinander und ausgerechnet zeitgleich und dies seit einigen Wochen. Er schaue also gerade zwei kommenden Verlusten entgegen. Seine grossen Fragen: Wie schaffe ich das? Was kann ich tun, was will ich tun, was muss ich tun? Er merkt durch die Beratung, dass er gut zu sich selbst schauen und ehrlich zu sich sein muss und auch aussprechen darf, was er braucht. Da er für beide Menschen zum inneren Bezugsnetz gehört, will er sagen, was er anbieten und wie er unterstützen möchte. Ebenso ist ihm wichtig geworden, dass er im direkten Kontakt mit den Freunden herausfinden will, was sich die beiden denn über-
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