5 ENSEMBLE 2022 /68 —– Doss i er Christoph Schwarz weiterhin besteht und der Wegfall dieser Nahrungsmittelverteilung Menschen in Not bringen wird. Kreativ konnte die Sozialdiakonin kurzfristig einen Kirchenraum mit grossen Glastüren nach aussen so einrichten, dass er gut belüftet war und die Leute in Selbstbedienung zu ihren Nahrungsmitteln kamen. So konnte die Kirchgemeinde die entstandene Lücke überbrücken, bis die zwei anderen Organisationen ihre Arbeit wieder aufnehmen konnten. Sie sagten, in Krisen sei es wichtig, «agil» zu handeln. Was verstehen Sie genau unter dieser Agilität? Im obigen Beispiel war es möglich, Entscheidungen für diese Raumnutzung und Lebensmittelhilfe schnell zu treffen. Es musste nicht auf die nächste Kirchgemeinderatssitzung gewartet werden – Entscheidungswege waren kürzer und dadurch agiler. Gleichzeitig wurde nicht überstürzt gehandelt: Zum agilen Handeln gehört auch das sorgfältige Wahrnehmen von Situationen und Bedürfnissen. Es wurden auch bestehende Netzwerke zu anderen Organisationen genutzt. Und es war innerlicher Freiraum vorhanden, sich auf eine neue Situation einzulassen. Wie kann die Sozialdiakonie agiler werden oder agil bleiben? Wichtig scheint mir ein klares Bild des Auftrags: Was verstehen wir unter Sozialdiakonie, wie verstehen wir grundsätzlich unsere Aufgaben? Dann ist auf der persönlichen Ebene der eigene Habitus zentral: Was sind meine Grundhaltungen und Grundmuster im Denken und Handeln? Denke ich gewohnheitsmässig an die Armen, Ausgegrenzten und Schwachen? Fühle ich Mitleid, Ohnmacht und Empörung mit ihnen? Handle ich im Blick auf eine Verbesserung ihrer Situation? Ein klarer Auftrag und geklärter Habitus führt zu agilerem Handeln! Es braucht aber auch schnelle Entscheidungen, Angestellte, die offen und kreativ in den Methoden sind. Auch ein gutes Netzwerk zu Fachstellen und Organisationen im Sozialwesen sowie eine gute Freiwilligenarbeit, die bei plötzlichem Bedarf zur Verfügung stehen, sind sehr hilfreich. Sie boten am TDS eine Unterrichtseinheit zu diesem Thema an. Was wollten Sie Ihren Studierenden dabei hauptsächlich vermitteln? Themen wie die hier erwähnten, und wir liessen sie zudem reflektieren, wie sie selber in ihren Ausbildungsstellen in der Lockdownzeit reagiert hatten, um für zukünftige Krisen zu lernen. Wie waren die Rückmeldungen der Studierenden zu dieser Unterrichtseinheit? Sie wurde als sehr hilfreich empfunden und es wurde geschätzt, dass wir auf diese aktuelle Situation eingehen konnten und dafür Raum im Stundenplan schufen. Gerne komme ich noch zu einer aktuellen Krise: drohende Energieknappheit und ein Krieg, den viele nicht verstehen. Wie kann die Diakonie darauf reagieren? Nahe bei den Menschen sein und mit ihnen erfassen, wo dadurch neue Bedürfnisse entstehen. Dabei geht es um eine Situationsanalyse, möglicherweise um eine Sozialraumanalyse, sowie Partizipation, also Teilhabe. Man muss gut abklären, welche anderen Player bereits Hilfestellungen anbieten. Dann soll man erkennen können, wo es Lücken gibt und wo eine Aufgabe für die kirchliche Diakonie bestehen könnte. Zum Beispiel gab es im Aargau gerade ein Austauschtreffen Diakonie, wo verschiedene Fachstellen besprachen, welche Bedürfnisse bei höheren Energiepreisen absehbar sind und welche Organisationen welche Hilfsmöglichkeiten haben. Sie traten kürzlich an einer Tagung von Refbejuso zu diesem Thema auf und hielten dort ein Referat zu diesem Themenkreis. Um was ging es in Ihrem Referat? Um vieles von dem, was ich in diesem Interview gerade gesagt habe. Zudem habe ich ein hilfreiches, grundlegendes Handlungsmodell vorgestellt, mit dem die Teilnehmenden über mögliche Habitus-Formulierungen ins Gespräch kamen. Wir diskutierten auch über häufige Stressreaktionen und wie wir zur hilfreicheren Reaktion kommen können. © Phil Wenger Photography
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