ENSEMBLE Nr. / N° 69 - April / Avril 2023

6 Dossier —– ENSEMBLE 2023/69 Armut leiden insbesondere Kinder. Ihre Entwicklungs- und Bildungschancen sind beeinträchtigt, so dass sie im Erwachsenenalter selbst Gefahr laufen, in Armut zu leben. Ist das jüngste Kind älter als fünf Jahre, nimmt das Armutsrisiko mit dem Alter der Kinder kontinuierlich ab, was auf den geringeren Betreuungsbedarf zurückzuführen ist. Grosse Familien mit mehr als drei Kindern haben ein überdurchschnittliches Armutsrisiko. Eine wichtige Rolle spielt zudem das Erwerbsmodell der Familie. Überdurchschnittlich hoch ist das Risiko, wenn das Familieneinkommen von einer Person getragen wird. Demgegenüber haben Familien mit einem Doppelversorgermodell ein deutlich tieferes Armutsrisiko. Auswirkungen für Betroffene Armut hat Auswirkungen auf verschiedene Lebensbereiche wie berufliche Integration, Familie, Wohnsituation und Gesundheit. Neben materieller Entbehrung und Belastung führt Armut auch dazu, dass man an vielen gesellschaftlichen Aktivitäten und Möglichkeiten nicht teilhaben kann. Dies führt zu sozialer Ausgrenzung. Im Kanton Bern ist der Grundbedarf der Sozialhilfe trotz Teuerung seit 2011 nie angepasst worden. Das ist mit Einschränkungen in der sozialen Teilhabe verbunden. Dies trifft die Betroffenen hart. Noch fast schlimmer empfinden diese jedoch das fehlende Verständnis der Gesellschaft für ihre Situation. Oft sucht man die Ursache bei den Betroffenen. Armut bedeutet vor allem auch Stress, bei der Arbeitssuche, bei der Wohnungssuche oder beim Umgang mit den Behörden. Prämienverbilligung und Sozialhilfe bekämpfen die Armut der Familien wirksam. Die grösste Wirkung bei der Bekämpfung der Familienarmut kommt der Sozialhilfe zu: Bei Paarhaushalten mit Kindern reduziert sich dadurch die Zahl der Armutsbetroffenen um 18 Prozent und bei Alleinerziehenden gar um 33 Prozent. Für die Existenzsicherung von geschiedenen Familien sind auch Unterhaltszahlungen wichtig. Damit reduziert sich die Armutsquote bei Einelternhaushalten um ein Drittel. Im Unterschied zu anderen Kantonen kennt der Kanton Bern keine speziellen Bedarfsleistungen für Familien. Mit Ergänzungsleistungen (EL) für einkommensschwache Familien können betroffene Familien aber gezielt finanziell entlastet werden, wie Beispiele aus anderen Kantonen aufzeigen. Aus- und Weiterbildung Erwachsene ohne ausreichende Grundkompetenzen oder ohne Berufsabschluss sind einem höheren Risiko ausgesetzt, in prekären Verhältnissen zu arbeiten oder gar arbeitslos zu werden. Sie sind dadurch stark armutsgefährdet. In der Schweiz haben laut Schätzungen eine halbe Million Erwachsene keine nachobligatorische Ausbildung abgeschlossen. Aus Sicht der Armutsprävention liegt deshalb ein entscheidender Fokus auf der Förderung von Grundkompetenzen und des Berufsabschlusses für Erwachsene. Obwohl seit einigen Jahren intensivierte Anstrengungen bei der Aus- und Weiterbildung unternommen werden, können geringqualifizierte Erwachsene durch Bildungsmassnahmen nur schlecht erreicht werden. Oft erschweren oder verhindern Belastungen in anderen Bereichen wie etwa Existenzsicherung, Wohnen, Familie oder Gesundheit die Teilnahme an Weiterbildungsangeboten. Das bedeutet, dass Bildungsangebote möglichst auf die konkreten Lebenssituationen und Bedürfnisse der unterschiedlichen Zielgruppen zugeschnitten sein müssen. Denn eine abgeschlossene Berufsausbildung und ein gelungener Einstieg in den Arbeitsmarkt sind zentral, um langfristig aus der Armut herauszukommen. © Unsplash Auch im Alter können Personen von Armut betroffen sein. Les personnes âgées peuvent aussi être touchées par la précarité.

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