ENSEMBLE Nr. / N° 71 - Oktober / Octobre 2023

6 Dossier —– ENSEMBLE 2023/71 «Mission 21» engagiert sich in 20 Ländern Afrikas, Asien und Lateinamerikas. Bei sämtlichen Aktivitäten wird die Geschlechterperspektive einbezogen. Die Überwindung der geschlechtsspezifischen Gewalt ist eines der fünf Aktionsfelder, neben der Förderung des interreligiösen und interkulturellen Friedens, der Sicherung des Lebensunterhalts, der theologischen Ausbildung und der Good Governance. «Wir konzentrieren uns auf zwei Bereiche: die Prävention und die Unterstützung von ‹Überlebenden›, von Opfern. Selbst in Projekten, bei denen es um den Lebensunterhalt von Frauen geht, sprechen wir die geschlechtsspezifische Gewalt direkt an, die Frauen werden dadurch weniger verletzlich, weil ihre gesellschaftliche Stellung gestärkt wird», führt sie aus. «2022 konnten wir mit unseren Aktivitäten in diesem Bereich 16 000 Personen erreichen.» Eine langfristige Arbeit, auch in der Schweiz Diese Arbeit und die Sensibilisierungskampagnen, aber auch die Bewegung #MeToo oder, was die Schweiz anbelangt, der Frauenstreik 2019 sind Fortschritte. Sie haben es ermöglicht, die Sichtbarkeit zu erweitern. Allerdings betont Sara Speicher: «Das bedeutet nicht, dass es einfacher wäre, darüber zu sprechen, oder dass die Gewaltakte rückläufig wären. Tatsächlich ist es so, dass die Lockdowns und die wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-Pandemie zu einer Zunahme von häuslicher Gewalt geführt haben. Vor uns steht noch viel Arbeit.» Die Finanzierung von geschützten Unterkünften und der Unterstützung von Opfern ist sowohl international als auch hier in der Schweiz unzureichend. Bedauerlicherweise mangelt es auch erheblich an Daten. «In der Schweiz und weltweit sind nur sehr wenige Zahlen greifbar. Das Problem wird massiv unterschätzt und bleibt stark tabuisiert. Für die Forschung steht zu wenig Geld zur Verfügung», hält Barbara Heer fest. Zudem müssen auf politischer und rechtlicher Ebene weitere Anstrengungen unternommen werden. In der Schweiz etwa ist im Rechtswesen – trotz der Revision des Sexualstrafrechts und der Inkraftsetzung des Übereinkommens von Istanbul zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt – weiterhin eine Ambivalenz und ein gewisser Widerstand auszumachen. «Das erneute Aufbrechen von Traumas im Rahmen von Befragungen ist ein wichtiges Thema. Der Strafprozess ist eine schwere Belastung für die Überlebenden, selten kommt es zu einer Verurteilung», gibt sie zu bedenken. Die Kirchen, Akteure des Wandels Die Tragödie der geschlechtsspezifischen Gewalt ist immer noch eine offene Wunde. «Das heisst, dass wir bei unseren Bemühungen nicht nachlassen dürfen», hält Sara Speicher fest. «Wir beim ÖRK vernehmen zahlreiche Geschichten von Personen aus der ganzen Welt, die sich von ‹Donnerstags in Schwarz› inspirieren liessen, die motiviert sind zu handeln und darauf hinarbeiten, die geschlechtsspezifische Gewalt zu überwinden.» Diese Bewusstwerdung hat dazu geführt, dass in den Kirchen eine Politik und Praktiken gegen den Missbrauch und die sexuelle Belästigung eingeführt wurden. «Kirchen sind auch Arbeitgeber, öffentliche Orte, an denen diese Form der Gewalt entsteht. Unsere Partnerkirchen müssen Regelungen gegen sexuelle Belästigungen vorweisen können. Wir organisieren Kurse und Gespräche zu diesem Thema», erzählt Barbara Heer. Eine weitere grössere Herausforderung besteht darin, die Männer mit ins Boot zu holen und Konzepte von Männlichkeit auf den Prüfstand zu stellen. «Männer spielen eine Schlüsselrolle im Hinblick auf den Abbau von geschlechtsspezifischer Gewalt. Es ist wichtig, ihnen aufzuzeigen, dass auch ihre Freiheit durch das Patriarchat beschnitten wird», fährt sie fort. Und abschliessend meint sie: «Die Arbeit für den Frieden wird allzu oft aufgefasst als Abwesenheit von Krieg, und die alltägliche Gewalt, die geschlechtsspezifische Gewalt, geht darob vergessen. Die Kirchen als Akteure des Wandels müssen ihre Friedensbotschaft auch in diesen Bereich hereintragen.» Falls Sie mehr erfahren möchten, hilft Ihnen ein Blick auf die nachfolgend genannten Websites weiter: − Kampagne «Donnerstags in Schwarz» des Ökumenischen Rates der Kirchen − Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen», koordiniert von der feministischen Friedensorganisation cfd − Projekte von Mission 21 im Aktionsbereich «Gleichheit der Geschlechter» © Mike DuBose/ÖRK Wandteppich als Teil der Kampagne «Donnerstags in Schwarz» gegen geschlechtsspezifische Gewalt an der 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Karlsruhe, 2022. Tapisserie faisant partie de la campagne «Jeudis en noir» contre la violence sexiste lors de la 11e Assemblée du Conseil œcuménique des Eglises à Karlsruhe, 2022.

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