ENSEMBLE Nr. / N° 72 - Dezember / Décembre 2023

10 Dossier —– ENSEMBLE 2023/72 VON DER (UN)MÖGLICHKEIT EINES KIRCHLICHEN AUFTRAGS Den Glauben weitergeben Was ist eigentlich die Aufgabe kirchlicher Religionspädagogik? Die Kirchenordnung ist dazu klar: «Die christliche Gemeinde hat den Auftrag, den Glauben, den sie empfangen hat, den nachfolgenden Generationen weiterzugeben, in ihm Orientierung zu suchen für das tägliche Leben ihrer Glieder in den persönlichen und öffentlichen Bereichen und die Frohe Botschaft von Jesus Christus allen Menschen zu verkündigen.» Klar ist auch: Glaube kann nicht einfach wie ein hübsch verpacktes Geschenk von Generation zu Generation weitergegeben werden. Als fertig geschnürtes Paket verfehlt er seine Wirkung. Von Rahel Voirol und Patrick von Siebenthal* Glaubensinhalte müssen entdeckt, geprüft, angewandt, ausprobiert, auch einmal als unpassend zurückgewiesen, befragt, hinterfragt, angeeignet und im besten Fall in die persönliche Religiosität integriert werden, damit daraus etwas entsteht, was «für das tägliche Leben in den persönlichen und öffentlichen Bereichen» «Orientierung» geben kann. Kirchliche Religionspädagogik widmet sich darum nicht einer (un)möglichen «Glaubensweitergabe», sondern eröffnet Räume für (religiöse) Bildung. «Bildung» im religionspädagogischen Kontext Theologisch wird der Begriff der Bildung in Zusammenhang mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen gebracht. Es geht darum, dass Menschen zu dem werden dürfen, wozu sie eigentlich bestimmt sind, dass sie ein gelingendes Leben führen und die Welt, in die sie hineingestellt sind, vertrauensvoll mitgestalten lernen. Dass in einem solchen Bildungsprozess Religion als Gefühl der Verbundenheit mit etwas Grösserem und – aus unserer Sicht – christliche Religion als Ausdruck von Welt- und Gottvertrauen wesentlich, wenn nicht gar grundlegend sind, scheint naheliegend. Aufgabe kirchlicher Religionspädagogik wäre dann, Kinder und Jugendliche in diesem Prozess der Ich- und Menschwerdung zu begleiten und ihnen mit Inhalten christlicher Tradition Impulse für die eigene und gemeinsame Lebensdeutung und Lebensgestaltung anzubieten. Kirchliche Religionspädagogik hilft Gemäss dem Religionspädagogen Dr. Joachim Kunstmann sind der Inhalt religiöser Bildung die Jugendlichen selbst mit ihren existenziellen Erfahrungen und Fragen. Junge Menschen sollen sich selbst und ihr Leben lebensdienlich deuten lernen, damit Vertrauen ins Leben wachsen kann. Deuten-Lernen heisst, eine Sprache für etwas zu finden. Gerade bei existenziell bedeutsamen Erfahrungen fehlen oft erklärende Worte. Da braucht es erweiterte Sprachformen. Es braucht Symbole und Rituale, es braucht Bilder, Poesie, Geschichten … Und davon hat die Kirche ganz viel zu bieten! Christliche Tradition ist voll von symbolisch gedeuteten Erfahrungen, die auch heutigen Menschen beim Symbolisieren ihrer existenziellen Erfahrungen eine wertvolle Ressource sein können. Christliche Tradition als Ressource Dieses Wechselspiel, diese lebendige Auseinandersetzung zwischen Menschen und Tradition ist in der KUW nichts Neues. Im religionspädagogischen Prinzip der «Elementarisierung», das die katechetische Ausbildung der Reformierten Kirchen BernJura-Solothurn seit ihren Anfängen prägt, geht es darum, dass Teilnehmende und christliche Tradition miteinander in ein produktives Gespräch kommen. «Neu» könnte der Ausgangspunkt für dieses Wechselspiel noch konsequenter bei den Fragen und Erfahrungen der Kinder und Jugendlichen angesetzt werden, auch weil die Selbstverständlichkeit einer Auseinandersetzung mit christlichem Glaubensgut in den letzten 30 Jahren nochmals massiv abgenommen hat. Grundlage dafür bietet auch die Kirchenordnung in Art. 56 Abs. 2: «Die kirchliche Unterweisung geht von den Erfahrungen, Fragen und Nöten der Kinder und Jugendlichen aus und orientiert sich an der Bibel und deren Wirkungsgeschichte in Kirche und Welt.» Religiöse Inhalte sollen der Bildung von Menschen dienen. Kinder und Jugendliche sollen nicht in erster Linie Inhalte des christlichen Glaubens, sondern sich selbst kennen und verstehen lernen; sich selbst in ihrer Verbundenheit mit Gott, den Mitmenschen und der Schöpfung. Wo Religion persönlich relevant wird, kann auch das Interesse wachsen, mehr von ihr wissen zu wollen. Bildung ist ein ergebnisoffener Prozess Schnell wird im Blick auf solche Prozesse klar, dass sie nicht zielorientiert angelegt werden können. Was Religionspädagoginnen und Religionspädagogen in bestimmten Situationen für hilfreich halten, muss es nicht unbedingt für die einzelnen Teilnehmenden sein. Gleichzeitig darf der christ-

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