24 Fokus —– ENSEMBLE 2023/72 Lisbeth Zogg Hohn ist Freiwillige im Rückkehrzentrum Enggistein. Sie berichtet von einer Zwangsausschaffung, in die Kinder involviert waren. Rechtlich ist alles korrekt, doch menschlich tun sich Abgründe auf. Ein Erfahrungsbericht. Lisbeth Zogg Hohn* Vor zehn Tagen war alles noch anders. Ashvika feiert ihren siebten Geburtstag. Sie strahlt. Die Eltern sind stolz auf ihre Tochter und viele freuen sich mit. Ashvika heisst denn auch: strahlend und voller Leben. Jetzt steht Ashvika mit aufgerissenen Augen im Gang des Rückkehrzentrums. Ich umarme sie. Zum letzten Mal. Aber sie, die einem sonst zulächelt, ist ganz starr. Sie starrt auf die Waffe und die Hand daran, die genau auf der Höhe ihres Kopfes bedrohlich baumelt. Die gehört zu einem schwarz gekleideten grossen Mann, auf dessen Rücken Polizei steht. Als Erstklässlerin kann sie lesen und versteht, was das heisst. Polizisten haben schon mehrmals Leute abgeholt vom Ort, der ihr Zuhause war, bis heute. Jetzt, an diesem Morgen um sieben Uhr, sind die Polizisten gekommen, um sie und ihre Familie zu holen, viele Leute und viele Autos. Sie schaut zur Mutter, die auf der TrepZWANGSAUSSCHAFFUNG Ashvika muss gehen pe kauert, verzweifelt weint und sich schützend den Bauch hält, in dem seit sechs Monaten ein Kind heranwächst, um in eine sehr unwirtliche Welt geboren zu werden, wie sich jetzt brutal herausstellt. Sie schaut hoch zum Vater, dessen Augen flackern vor Angst. Er wird wenig später kollabieren. Hier geboren und aufgewachsen So hat Ashvika ihre Eltern noch nie gesehen, so fassungslos. Und auch nicht die Mitbewohnenden und die Betreuungspersonen, alle mit Tränen in den Augen, sogar ein Polizist muss weinen. «Das finden wir auch nicht schön, aber es muss halt sein.» Solche Sätze fliegen ihr um die Ohren und über ihren Kopf hinweg. Kinder orientieren sich an den Erwachsenen, um herauszufinden, was das bedeutet, was gerade geschieht. Was Ashvika hier sieht, muss etwas Schlimmes sein. Gestern noch hatte sie ihren Schulsack gepackt und sich auf die Schule gefreut. Sie ging gerne zu Schule. Und jetzt? Nie mehr wird sie ihre Lehrerin und ihre Freundinnen sehen und sich nicht mal von ihnen verabschieden können. Auch nicht von den vielen Menschen, die sich immer freuten, ihr zu begegnen. Jetzt trägt sie den Schulsack, um weit fortzugehen. Wohin, weiss sie nicht, sie spürt nur, dass Symbolbild einer Ausschaffung. Image emblématique d’une expulsion. © Keystone / Martin Ruetschi
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