25 ENSEMBLE 2023/72 —– Fokus die Eltern sich schrecklich davor fürchten. «Wir werden alle sterben», hört sie die Mutter stammeln. Sie muss ihr Heimatland, die Schweiz, wo sie geboren wurde und aufgewachsen ist, verlassen und geht in ein Land, von dem die Erwachsenen mit den harten Gesichtern sagen, es sei schon immer ihre Heimat gewesen, und nur dort gehöre sie hin. In ein fremdes Land, von dem sie nur weiss, dass ihre Eltern es fürchten, weil sie dort so schlecht behandelt worden sind, als sie noch nicht geboren war. Einem Kind gegenüber erzählt man ja auch nicht von den Männern mit den Pistolen, von Gefängnis und Folter, von Schmerz und Alptraum. Man will, dass das alles vorbei sei und es den Kindern besser ergehe. Aber dass die Eltern sich ängstigen, wenn sie an dieses Land denken, und davor, dahin zurückkehren zu müssen, das spürt ein Kind sehr wohl. Etwas Schweres, Dunkles ist da. Rechtlich alles korrekt Ashvika wurde nie gefragt. Wenn die Schweiz sich von Menschen trennt, die sie als nicht zugehörig betrachtet, werden die Kinder nicht gefragt. «Bitte sehr, rechtlich ist alles korrekt», heisst es. Und es zählt nicht, dass sie hier geboren und aufgewachsen sind. Obwohl diese Familie schon seit acht Jahren in der Schweiz weilt und sich bestens integrierte. In dieser langen Zeit unternahm die Behörde vieles, damit sich die Familie nicht beheimatet und schon gar nicht wohlfühlen sollte. Deshalb mussPolitischer Vorstoss gescheitert Am 21. November wurden eine tamilische und eine singhalesische Familie mit vier Erwachsenen und vier Kindern mit einem Sonderflug nach Colombo, Sri Lanka, zwangsausgeschafft. Gemäss der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH ist die Menschenrechtslage in Sri Lanka immer noch schwierig, insbesondere für «Angehörige der tamilischen Minderheit, die verdächtigt werden, Verbindungen zur LTTE zu haben». Dazu kommt eine schwere Wirtschaftskrise. Die SFH setzt sich dafür ein, dass die Rückführungen nach Sri Lanka ausgesetzt werden. «Die Ernährungssicherheit (…) ist weiterhin gefährdet, medizinische Behandlungen sind stark eingeschränkt und die Menschenrechtslage ist weiterhin besorgniserregend.» Auf Rückführungen nach Sri Lanka soll gemäss SFH deshalb verzichtet werden, bis sich die Lage stabilisiert hat. Familie Nesakumar gehörte wie auch die zweite ausgeschaffte Familie zu den «altrechtlichen Fällen», deren Asylgesuch noch vor 2019 behandelt und abgewiesen wurde und die jahrelang auf einen Entscheid warten mussten. Nach der Ablehnung des Asylgesuchs war aber eine Rückkehr für sie nach dem Erlebten und aufgrund der aktuellen Situation in Sri Lanka nicht möglich. Sie lebten als «Langzeitnothilfe-Beziehende (LAB)» unter prekärsten Bedingungen. 2021 reichte die ehemalige EVP-Nationalrätin Marianne Streiff-Fell eine Motion ein, die am 16.3.2023 vom Nationalrat mit 100 gegen 81 Stimmen an den Ständerat überwiesen wurde: «Ausserordentliche humanitäre Aktion für Nothilfe beziehende Personen aus altrechtlichen Asylverfahren». Für die 2500 im Langzeitnothilfe- Regime lebenden Männer, Frauen und Kinder sollte endlich ein Ausweg gefunden werden, da sie längstens integriert seien, eine Landessprache beherrschten und ihre Arbeitskraft dringend benötigt werde. Der Ständerat lehnte die Motion am 12. September 2023 mit 30 zu 12 Stimmen ab. Damit erhalten Langzeitnothilfe beziehende Personen aus altrechtlichen Asylverfahren keine zweite Chance auf eine reguläre Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz. te Ashvika mehrmals umziehen, mitten im Schuljahr. Immer wieder Abschiede und Neuanfänge. Sie hat hier in der Schweiz bereits vieles erlebt und ausgehalten. Acht Jahre zählen nicht. Hier geboren und aufgewachsen zu sein, zählt nicht. Deutschkenntnisse zählen nicht. Dass die Eltern Berufe haben, die wegen Fachkräftemangels dringend gesucht sind, zählt nicht. Nicht mal das Geld, das der Kanton Bern seit acht Jahren für die Nothilfe investierte, zählt etwas. Weg mit ihnen. «Was wollen Sie? Rechtlich ist alles korrekt abgelaufen.» Daran zweifeln wir nicht, aber wir verzweifeln an der Unmenschlichkeit, Härte und Unverhältnismässigkeit, mit der dieses Recht durchgezogen wird. Und an der Haltung der Personen, die solche Entscheide verantworten. Was braucht es, damit diese sich berühren lassen vom Leid, das solche unnötigen Entscheide verursacht? Im Unterschied zur Mutter. Bevor sie in den Transporter mit den verdunkelten Fenstern stieg, drückte sie mir ein Bündel Fahrkarten in die Hand. «Die können andere jetzt besser brauchen. Und verschenkt das Velo weiter an jemanden, der es nötig hat.» Sogar in diesem Moment war sie solidarisch. Solche Leute bräuchte es bei uns in der Schweiz! * Freiwillige im Rückkehrzentrum Enggistein, Pfarrerin, Kirchgemeindepräsidentin in Walkringen
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