4 Dossier —– ENSEMBLE 2023/72 «RELIGION IST SYMBOLISCHE LEBENSDEUTUNG» RELIGIONSPÄDAGOGIK «LA RELIGION DONNE UN SENS SYMBOLIQUE À LA VIE» PÉDAGOGIE DE LA RELIGION Der Religionspädagoge Prof. Dr. Joachim Kunstmann plädiert für eine subjektorientierte Religionspädagogik. Für ihn ein unverzichtbarer Ansatz, um die Relevanz und bleibende Aktualität des Christentums plausibel zu vermitteln. Dazu können Existenzfragen unter Einbezug der christlichen Tradition symbolisch eingekleidet werden. Von Adrian Hauser Herr Kunstmann, was bedeutet Subjektorientierung in der Religionspädagogik? Die Subjektorientierung ist für mich nicht nur eine sinnvolle, sondern eigentlich eine alternativlose Form der Religionspädagogik. Man fragt bereits seit langem nach «Erfahrungsbezug», versucht also, christlich-religiöse Stoffe an die Erfahrungswelt der Schüler oder der Lernenden anzudocken. Dieses Vorgehen scheint mir nicht mehr zu funktionieren. Denn niemand fragt, was die Lernenden selbst eigentlich erleben und denken. Ausserdem hat das Christentum inzwischen praktisch komplett seine Plausibilität und seine Selbstverständlichkeit verloren. Warum denken Sie, dass das Christentum dies verloren hat? Weil sowohl die Glaubenslehren als auch die rituellen Formen des Christentums nicht mehr verstanden werden – was wiederum daran liegt, dass sie aus alten Zeiten stammen und den Erfahrungen und Fragen moderner Menschen kaum mehr vermittelbar sind. Es gibt daher sehr viele Vorurteile, religiösen Analphabetismus und eine grosse Religionsdistanz. In dieser Situation funktioniert das alte Modell einer Glaubensweitergabe über die Traditionsbestände nicht mehr. Das ist für mich offensichtlich. Wir haben zumindest in Deutschland in den Schulen einen flächendeckenden Religionsunterricht, doch die Religions- Distanz der Schüler wächst von Jahr zu Jahr. Ist das nicht auch eine gesellschaftliche Tendenz? Das schon, aber auf der anderen Seite sieht man daran ganz deutlich, dass die Religionspädagogik ihre Ziele in keiner Weise erreicht. Und deswegen ist der Ansatz der Subjektorientierung einer, der nicht nur alte Muster ein wenig weiterdreht, sondern ein grundsätzlich anderes Verständnis von Religion hat. Ich gehe dabei davon aus, dass das Christentum kein Glaube und keine Überzeugung ist, sondern eine Religion. Wenn man das Christentum als Religion versteht, dann kann man auf eine beeindruckende Tradition zurückgreifen: Der Theologe Friedrich Schleiermacher hat gesagt, Religion sei ein Gefühl, eine tiefe Erregung – also ein intensives Erleben. Das bricht vor allem in existenziellen Lebenserfahrungen auf wie Schmerz, Glückserlebnissen oder Todeserfahrungen. Religion deutet solche existenziellen Erfahrungen in einer bestimmten Weise, nämlich symbolisch. Es gibt drei Bereiche, die sich mit solchen Existenzfragen beschäftigen: Kunst, Philosophie und Religion. Die Philosophie deutet die Existenzfragen rational, die Kunst mit Darstellungsformen und die Religion symbolisch. Religion ist eigentlich symbolische Lebensdeutung. Sie haben vorhin gesagt, die Subjektorientierung sei unverzichtbar. Können Sie das noch ein bisschen genauer erläutern? Sie ist für mich die einzige Art, Religion in einem säkularen Umfeld plausibel zu machen. Wenn man Schülerinnen und Schülern zeigt, dass Religion nicht ein fremder Kosmos ist, der mit dem Leben nichts zu tun hat, sondern im Gegenteil sich
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