ENSEMBLE Nr. / N° 74 - Juni / Juin 2024

14 Fokus —– ENSEMBLE 2024/74 Die Landeskirchen an der BEA: im Einsatz zwischen Dampfreinigern, Finanzberatung und Brustkrebsvorsorge. Eine persönliche Rückschau. Von Markus Dütschler* Dieser Geräuschpegel! Dieses Kunstlicht! In der Messehalle geht jegliches Zeitgefühl verloren. Die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn sind zum 32. Mal an der BEA. Gemeinsam mit der römisch-katholischen und der christkatholischen Landeskirche betreiben sie einen Stand. Hier treffen sich nicht nur Gleichgesinnte, sondern Hinz und Kunz. «Wo bin ich hier überhaupt?», fragt eine Dame, der gerade ein Gratis-Kaffee zum bequemen Fauteuil gebracht wird, in dem sie sich vom Messebummel erholt. Die Kinder stellen diese Frage nicht. Manche können noch nicht lesen. Zudem ist die MundartBeschriftung «mi Chiuche» selbst für Lesekundige nicht auf Anhieb verständlich. Doch eines ist den Kindern klar, wenn sie die Legoklötze und die Spielanlage für «4 gewinnt» sehen: «Das ist für uns.» So verhelfen sie sich und ihren gestressten Eltern zu einem Boxenstopp. Ein Dauerhit für alle ist die Selfiebox, eine Art Fotostudio. Den Hintergrund können die Leute auswählen. Sitzen sie gerne mit Jesus am Abendmahlstisch? Führen sie die Tiere zu Noahs Arche? Oder hängen sie sich eine Plastik-Giftschlange um den Hals und greifen im Paradies zum ominösen Apfel? Noah und das Schiff kennen viele. Doch das Abendmahl? Beim geteilten Meer denken manche nicht an Moses, sondern an Strand oder Tsunami. Die Säkularisierung wird in der Fotobox greifbar. Das allgemeine Bibelwissen verschwindet fast so rückstandsfrei wie der Leib einer Besucherin, die mit ihrem grünen Kleid vor dem Green Screen zum körperlosen Kopf in einer Blumenwiese mutiert. Was ist mit der Missbrauchsproblematik? Ein Mann erkundigt sich danach. Das «Frollein» habe ihn an den Mediensprecher verwiesen, sagt er. Das «Frollein» steckt die antiquierte Anrede sportlich weg. Sie ist eine Mitarbeiterin der gesamtkirchlichen Dienste, die an diesem Tag Projekte aus ihrem Bereich vorstellt. Schliesslich geht es beim 32. Messeauftritt der Kirchen um die «Leistungen im gesamtgesellschaftlichen Interesse». Viele sind erstaunt über die Breite des Angebots. Andere sind mit der Religion längst fertig. «Mit Kirche habe ich nichts am Hut», weist einer die Einladung zum Kaffee zurück. Einige nehmen das Angebot an, fühlen sich aber leicht unbehaglich. Ob man zu etwas Frommem überschwatzt wird? «Sind Sie hier Jesus und so?», fragen zwei junge Frauen. Im Alltag würden sie vermutlich keinen Fuss in eine Kirche setzen, ausgenommen bei einer Abdankung oder Hochzeit. Es gibt auch jene, die sich stark mit dem Evangelium identifizieren. Bei Kaffee und Güetzi erzählt eine Frau, wie es ihr helfe, Gott im Gebet um Verständnis zu bitten für die richtige Erkenntnis der Schrift. «Zwanzigmal sagte mir eine bestimmte Bibelstelle nichts, dann fiel es mir wie Schuppen von den Augen.» Wieder andere schütten ihr Herz aus und reden über einen schweren Schicksalsschlag. Auch Schulklassen besuchen den Stand. Je nach Herkunftsort sind darunter Schülerinnen und Schüler muslimischen Glaubens. Nicht selten wollen gerade sie die Dinge genau wissen. Religion ist für sie wichtig und Indifferenz unverständlich. Manche Klassen wurden von ihren Lehrkräften vorbereitet und haben Fragen notiert. Etwa diese: «Was ist Dreifaltigkeit?» – die niederschwelligste aller Einstiegsfragen! Wer nach Stunden wieder ins Tageslicht hinaustritt, dem summt der Kopf. Einerseits wegen des Gewusels in der Messe, aber auch angesichts der Verständnislosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber Christentum und Glaube. Was für ein Bild haben wir heute abgegeben? Ist der Kontakt mit den Menschen gelungen? Halten wir Kirchen die richtigen Angebote für sie bereit? Es ist anstrengend, aber auch aufschlussreich und beglückend, sich auf dem letzten Meter zur (potenziellen) Kundschaft aufzuhalten. * M arkus Dütschler ist Mediensprecher und Co-Leiter des Kommunikationsdienstes der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn B E A Volkes Stimme am Kirchenstand Der Stand der Landeskirchen an der BEA. © Mauro Mellone

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