10 Dossier —– ENSEMBLE 2024/75 Pascal Mösli ist Beauftragter Spezialseelsorge Palliative Care bei den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Er berichtet, was für Betroffene und ihre Angehörigen wichtig ist auf dem letzten Weg. Von Adrian Hauser Pascal Mösli, was ist Palliative Care überhaupt? Das Bild ist, dass man einem Menschen, der mit einer unheilbaren Krankheit konfrontiert ist oder im Sterben liegt, einen Mantel (pallium) umlegt. Damit er passt, muss dieser Mantel je nach Person ganz anders aussehen. Ziel ist es, die Personen auf ihrem Weg ganzheitlich unterstützen. Das machen verschiedene Berufsgruppen gemeinsam. Das sind die Medizin, die Pflege, die Sozialarbeit, die Psychologie, bis hin zur Seelsorge und den Freiwilligen. Dabei hat man die betroffene Person, aber auch die Angehörigen im Blick. Was brauchen die Angehörigen? Die Angehörigen sind für einen betroffenen Menschen meistens die wichtigsten Bezugspersonen. Den Betroffenen ist es oft wichtig, dass es den Angehörigen gut geht und diese nicht komplett in Stress geraten. Die Angehörigen selbst wollen oft Unterstützung dabei, wie sie der betroffenen Person bestmöglich helfen können. Wenn Angehörige selbst zu gestresst sind, überträgt sich das auf die betroffene Person. In einem solchen Fall muss man dem Umfeld eine Entlastung bieten. Was für Phasen durchlebt jemand, der im Sterben liegt? Es gibt ein Phasenmodell, das die Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross entwickelt hat. Demnach kann zuerst eine Phase kommen, in der man sich gegen eine Diagnose wehrt oder diese nicht wahrhaben will. Dann gibt es Phasen, in denen die Betroffenen gegen die Situation ankämpfen und auch eine gewisse Wut entwickeln. Weiter kann es depressive Phasen geben, in denen die Betroffenen aufgeben. Es kann auch sein, dass Betroffene an einen Punkt kommen, an dem sie sich mit ihrer Situation versöhnen. Dieses Phasenmodell wurde entwickelt, weil man weiss: Die Betroffenen können zwischen den verschiedenen Phasen hin- und herwechseln. Es ist kein linearer Prozess. Was ist Ihre Motivation, in diesem Feld tätig zu sein? In der fünften Klasse hatte ich einen schlimmen Velounfall und musste im Inselspital operiert werden. Ich teilte mein Zimmer mit einem Buben, der zwei Jahre älter war als ich. Er hatte einen Tumor und wusste, dass er sterben wird. Dieser Mensch hatte eine unheimliche Kraft. Er sagte mir beispielsweise, dass man vor dem Tod keine Angst haben muss, denn man gehe ins Licht. Er war sehr klar, direkt, aber auch leicht und fröhlich. Diese Lebendigkeit hat mich beeindruckt und geprägt. Haben Sie auch Personen mit Nahtoderfahrungen getroffen? Was passiert in einer solchen Situation? Ja, ich habe schon Personen mit einer Nahtoderfahrung getroffen. Obwohl das keine Erfahrungen vom Tod sind, glaube ich, dass dies Erfahrungen an der Grenze sind. Leute, die davon berichten, sind sehr klar. Es ist eine sehr klare und sehr starke Erfahrung. Neben den Nahtoderfahrungen berichten Sterbende von weiteren wichtigen Grenzerfahrungen. Es gibt eine Untersuchung von amerikanischen Palliative-Care-Institutionen mit Leuten, die Erscheinungserfahrungen hatten. Den Betroffenen sind verstorbene Menschen oder Tiere begegnet. Die Forschung kam zum Schluss, dass diese Leute nicht träumen und auch nicht halluzinieren, sondern dass es eine andere Erfahrung ist. Diese Erlebnisse hatten bei den Betroffenen oft eine grosse Entspannung zur Folge. Ich bin überzeugt, dass dies andere Erfahrungen sind, als wir sonst in unserem Alltag machen. Diese Erfahrungen haben etwas zu tun mit dem Sterbeprozess und fördern das innere Vertrauen für diesen letzten Weg. In der Palliative Care ist man ja sehr interdisziplinär unterwegs. Welche Rolle spielt die Seelsorge dabei? Die Sichtweise der Seelsorge ist die spirituelle Dimension. Sie geht der Frage nach, womit der Mensch in seinem tiefsten Inneren verbunden ist. Es kann sein, dass jemand sehr religiös ist. Dann ist es eine Verbindung zur christlichen Tradition oder zu Gott. Es kann sein, dass sich ein Mensch sehr mit der Natur verbunden fühlt und vielleicht einen bestimmten Kraftort hat. Dann kann eine Person diesen Ort innerlich herbeiholen. Ich habe jemanden über längere Zeit begleitet, der sich YB sehr verbunden fühlte. Wir haben dann zuerst dafür gesorgt, dass dieser Mann einen richtig grossen Fernseher erhält, um die Spiele zu schauen I N T E R V I EW «Es ist kein linearer Prozess»
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