ENSEMBLE Nr. / N° 75 - September / Septembre 2024

11 ENSEMBLE 2024/75 —– Dossier und das Gefühl zu haben, wirklich «dabei» zu sein. Später haben wir herausgefunden, dass er früher bei den Matchs immer in der Fankurve war. Das war seine Community. Aber er hat sich aus Scham nicht mehr bei ihnen gemeldet, und die Leute aus der Kurve auch nicht bei ihm, weil sie unsicher waren. Wir haben uns dann bemüht, diesen Kontakt wieder herzustellen. Eines Tages kamen 20 bis 30 Leute aus der Kurve zur Altersinstitution und haben unter seinem Fenster ihre Fanlieder gesungen. Der Job der Seelsorge ist es, die Betroffenen dabei zu unterstützen, (wieder) die innere Verbindung zu spüren, die sie trägt, oder auch mit ihm auszuhalten, wenn sie nicht gespürt werden kann. Sind die Seelsorgenden in Palliative-Care-Teams gut akzeptiert? Die Seelsorge ist Teil des Grundkonzepts der Palliative Care. Die heutige Palliative Care geht unter anderem zurück auf ein Konzept von Cicely Saunders. Sie war Pflegefachperson und hat später noch ein Studium gemacht und dabei das Diplom in «Public and Social Administration» aus Grossbritannien erlangt. Sie sagte, weil eine Fachperson nicht alles allein kann, braucht es ein Team. Dieser Teamgedanke wurde stark von ihr geprägt. Sie definierte das Konzept von «total pain» und den vier Dimensionen der Palliative Care, also die physische, psychische, soziale und spirituelle. Darin liegt die Erkenntnis, dass sich die Betroffenen gesamtheitlich in einem Schmerz befinden und es ihnen nicht besser geht, wenn man den Schmerz nur an einer Stelle behandelt. Die WHO und das BAG nahmen diese vier Dimensionen der Palliative Care in ihren Konzepten auf. In den Schweizer Palliative-Stationen ist die Seelsorge daher immer integriert. Gibt es auch Personen, die keine Seelsorge wollen? Ja, natürlich, und das hat mich teilweise auch etwas frustriert. Ein Supervisor sagte mir einmal dazu, dass die Seelsorgenden die Einzigen seien, die der Patient oder die Patientin hinausschicken kann, man es also als Zeichen ihrer Freiheit verstehen kann. Das hat mich sehr überzeugt. Die Ärzteschaft und das Pflegepersonal sind Teil des Systems. Als Seelsorgender ist man eine Art Zusatzspieler, den die Betroffenen ablehnen können. Manchmal wollen die Leute dadurch einfach sicherstellen, dass ihnen niemand in den eigenen Prozess dreinredet. Ein Akt der Selbstbestimmung. Das ist richtig. Und wir als Seelsorgende unterstützen die Selbstbestimmung ja sehr. Der Lead in einem solchen Prozess liegt bei den Betroffenen selbst und nicht bei den Seelsorgenden. Kommt es oft vor, dass man Patientinnen oder Patienten über eine längere Zeit begleitet? Ja, denn Palliative Care betrifft ja nicht nur den ganz letzten Lebensabschnitt. Die Palliative Care beginnt dann, wenn jemand eine Diagnose einer unheilbaren Krankheit hat. Es kann sein, dass jemand jahrelang auf diesem Weg ist. Was ist einfacher für die Betroffenen: wenn es schnell geht oder wenn sie viel Zeit haben, sich auf das Ende vorzubereiten? Das ist eine gute Frage. Viele Angehörige würden wahrscheinlich sagen, dass es schwieriger ist, wenn es schnell geht, weil sie keine Zeit haben, die betroffene Person zu begleiten und sich von ihr bewusst zu verabschieden. Aber es gibt auch Angehörige, die es als sehr schwierig erleben, wenn sie jemanden zu Hause über sehr lange Zeit pflegen und dabei zusehen müssen, wie die Person leidet. Welche Rolle können die Freiwilligen übernehmen? Im Spital können Freiwillige die soziale Komponente abdecken, indem sie mit den Betroffenen etwas machen, das diesen Spass macht. Zu Hause können die Freiwilligen eine wertvolle Stütze für pflegende Angehörige sein, die oft ans Limit kommen. Dies sind nur zwei Beispiele für eine lange Liste von Möglichkeiten. Palliative Care ohne Freiwillige ist unmöglich. © Adrian Hauser Pascal Mösli

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