16 Dossier —– ENSEMBLE 2024/75 BESTATTUNGEN Die Wünsche werden immer individueller Gyan Härri ist Bestatter rund um Bern, Biel und Thun und als solcher täglich mit dem Tod konfrontiert. Er gibt Auskunft, was alles zu seinem Beruf gehört und wie er damit umgeht. Von Adrian Hauser Gyan Härri ist in den Beruf des Bestatters «reingerutscht». So konnte er das Bestattungsunternehmen «Aurora» von seinem Schwiegervater übernehmen. Seine Frau arbeitet ebenfalls im Betrieb. Zuvor war Gyan Härri in der Kino- und Gastrobranche tätig. Er hat sich also auf andere Weise mit den Bedürfnissen von Menschen beschäftigt. Und diese stehen auch in seinem Beruf als Bestatter im Zentrum. Eine Bestattung bedeutet immer auch, sich mit der Lebensgeschichte der Verstorbenen auseinanderzusetzen, aber auch für die Hinterbliebenen da zu sein, um diesen einen bestmöglichen Abschied zu ermöglichen. Dabei übernimmt er auch schon mal die Rolle eines Sozialarbeiters. Er berichtet von einem Fall, bei dem er verschollene Angehörige ausfindig machte und sich plötzlich in einer schwierigen Familiengeschichte geprägt von Geheimnissen mit Missbrauchsgeschichten wiederfand. Vielfältige Möglichkeiten «Aurora» bietet sämtliche Dienstleistungen rund um Bestattungen wie Bestattungsvorsorge, Aufbahrungen, Überführungen, Abschiedsfeiern, Beisetzungen, Rituale, Zirkulare drucken oder Begleitung durch den Trauerprozess. Es gelangen teilweise auch spezielle Wünsche an das Bestattungsunternehmen. Gyan Härri erzählt von einer Frau, die sich vor ihrem Tod eine «Lebensfeier» wünschte, anstelle einer Bestattungsfeier. «Wir erfüllen alle Wünsche, sofern sie sich im gesetzlichen Rahmen bewegen», sagt Gyan Härri. Denn Bestattung ist nicht gleich Bestattung. Es gibt Erdbestattungen, Feuerbestattungen, Bestattungen im Garten, Waldbestattungen, Alpbestattungen, Wasserbestattungen, Luftbestattungen und viele mehr. Und diese sind teilweise mit Auflagen verbunden. Bei einer Gartenbestattung der Urne beispielsweise muss das Grundstück entweder einem selbst gehören oder man braucht das ausdrückliche Einverständnis der Besitzerin oder des Besitzers des Grundstücks. Auch beim Verstreuen von Asche in der Natur gibt es gesetzliche Auflagen. Gemäss Gyan Härri wünschen im Durchschnitt etwa 10 Prozent seiner Kundschaft eine Erdbestattung und etwa 90 Prozent eine Kremation. Gefühle zulassen Auch Gyan Härri stellt eine zunehmende Säkularisierung der Gesellschaft fest, auch dadurch werden die Bestattungswünsche immer individueller und sie bewegen sich vom kirchlichen Umfeld weg. So wollte beispielsweise einmal jemand seine Asche mit mehreren Feuerwerkskörpern von einer Terrasse auf einem Berg in den Himmel schiessen. Bei seiner Arbeit möchte er «ehrlich» und «durchlässig» sein. «Ich darf auch mal mit den Angehörigen mitweinen», sagt er. Gefühle zuzulassen ist seine Art, mit manchmal herausfordernden Situationen umzugehen. Besonders intensiv ist die Betreuung von Todesfällen, bei denen die Verstorbenen unerwartet, manchmal zu jung und plötzlich aus dem Leben gehen. Etwa durch einen Unfall. Wird in einem solchen Fall eine Aufbahrung gewünscht, kann auch ein stark versehrter Körper erstaunlich oft rekonstruiert werden. Es gibt jedoch Grenzen, wenn jemand bereits zu stark verwest ist: «Ist das Glas fast leer, kann es nicht einfach wieder gefüllt werden», führt Gyan Härri aus. Doch vieles ist möglich, so habe er beispielsweise schon ganze Gesichter wiederhergestellt. Obwohl er täglich mit dem Tod konfrontiert ist, hat er vor dem Sterben Respekt. Und zu dem, was danach kommt, hat er eine spannende Frage: «Was wäre, wenn jeder Mensch nach dem Tod genau das erlebt, was er glaubt?» Gyan Härri © Adrian Hauser
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