18 Fokus —– ENSEMBLE 2024/75 CUT N’ GO DER COIFFEUR DARF KEIN LUXUS SEIN Menschen wollen sich schön fühlen und wohl in ihrer Haut. Für einige scheitert dieser Wunsch jedoch am Geld. Dort setzt das Projekt Cut N’ Go an: ein Haarschnitt zum selbstbestimmten Preis, auch für armutsbetroffene Menschen. Von Benjamin Jost* Für Melanie Keller, Coiffeurin EFZ und Projektleiterin Cut N’ Go, ist klar: «Der Coiffeurbesuch darf kein Luxus sein. Alle Menschen sollen so aussehen dürfen, wie sie wollen.» Melanie setzt ihre vielfältigen Talente dazu ein, Menschen zu helfen. Nach ihrer Lehre als Coiffeurin schloss sie den Bachelor of Arts in Theologie und Sozialmanagement am ISTL ab. Dabei entdeckte sie, dass beide Themen eng verbunden sind. Das Coiffeurangebot versteht sie einerseits als Handwerk und andererseits als diakonisches Angebot, das die sozialen Bedürfnisse der Kunden im Fokus hat: Den Menschen zuhören und sie in ihrer aktuellen Lebenssituation ermutigen gehört für sie «zum Service». Fruchtbarer Boden 2019 startete Cut N’ Go mit einem Stuhl im HipHop Center an der Wankdorffeldstrasse in Bern. Melanie engagierte sich dort in der Jugendarbeit. Die Nachfrage wuchs, und Zeit, Platz und Ausstattung reichten bald nicht mehr aus. Mittels Crowdfunding, Fundraising und der Unterstützung des HipHop Centers konnte das Projekt zu einem Coiffeursalon ausgebaut werden, der sich inzwischen durch Einnahmen und Spenden selbst trägt. Neue Interessenten meldeten sich, um das Angebot weiteren Menschen zugänglich zu machen. Via Rahab Bern bietet das Cut N’ Go Haarschnitte für Sexarbeiterinnen an. Die Gesamtkirchgemeinde Bern ermöglicht es ukrainischen Geflüchteten, sich die Haare gratis schneiden zu lassen, und im betreuten Wohnen für Drogen konsumierende Menschen, BWD Albatros Bern, können Menschen daheim Coiffeurdienste in Anspruch nehmen. Bei einem Netzwerktreffen von Kirche in Bewegung haben sich kürzlich Mitarbeitende von Cut N’ Go und vom interkulturellen Kariim Kaffee in Burgdorf kennengelernt. Sofort wurde eine Zusammenarbeit in die Tat umgesetzt: Nun können sich dort asylsuchende und geflüchtete Menschen frisieren lassen. Das Äussere verändert auch das Innere Jede und jeder hat schon die Erfahrung gemacht, dass eine neue Frisur mehr Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit verschafft. Gleichzeitig bietet sich beim Haareschneiden ein Raum für Begegnungen und Austausch. Melanie Keller sieht sich als Coiffeurin auch als eine Art Seelsorgerin. Ihr Coiffeurstuhl ist ein Ort zum Zuhören, Mitfühlen, Ermutigen, Mitfreuen und Mitfeiern mit ihren Kundinnen und Kunden. Im Fokus stehen zwar Menschen in prekären Lebenssituationen, das Angebot steht aber grundsätzlich allen offen. Jeder Franken hilft, das Cut N’ Go zu sichern. Zusammen mit Kirche in Bewegung (einem Projekt der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn), dem HipHop Center Bern, der Stiftung fondia und weiteren Spenden hofft Melanie Keller, ihr Herzensprojekt noch lange weiterführen zu können. Cut N’ Go lebt von der Leidenschaft für den Beruf und für die Menschen und ist ein wunderbares Beispiel für eine lebendige Kirche. Cut N’Go an der BEA 2024: Synodalratspräsidentin Judith Pörksen Roder überlässt sich den kundigen Händen von Melanie Keller. * Mitarbeiter Kirche in Bewegung
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