7 ENSEMBLE 2024/75 —– Dossier DAS LEBENSENDE Den Mut haben, darüber zu sprechen Bei der breiten Bevölkerung ist die Palliativpflege weitgehend verkannt und leidet unter einem schlechten Ruf. Und doch: Sie ermöglicht es, das Lebensende milder zu gestalten und ihm einen Sinn zu verleihen. Diesen Herbst stehen in Bern ein Festival und eine Konferenz auf dem Programm, die das Tabu aufbrechen sollen. Von Nathalie Ogi «In unserer Gesellschaft wird oft über die Geburt gesprochen, aber kaum über das Lebensende», sagt Professor Steffen Eychmüller, Co-Direktor des Universitären Zentrums für Palliative Care am Inselspital Bern und Leiter der 8. Internationalen Konferenz «Public Health Palliative Care (PHPCI)», die im Oktober in der Bundeshauptstadt über die Bühne gehen wird (siehe Kasten). Gekoppelt mit einem Stadtfestival, das dem gleichen Thema gewidmet ist, zielt die Veranstaltung darauf ab, das Bewusstsein in der Öffentlichkeit zu schärfen und die Bedeutung und den Wert unserer letzten Lebensmomente aufzuzeigen. «Probleme im Bereich der öffentlichen Gesundheit können rasch entstehen, wenn die Bevölkerung nicht dazu bereit ist, sich stärker zu engagieren, beispielsweise indem sie in ihrem näheren Umfeld Solidarität zeigt und lebt», gibt Dr. Steffen Eychmüller zu bedenken. Tatsächlich könnte es in Zukunft schwierig werden, den Umgang mit den letzten Momenten des Lebens weiterhin an Fachpersonen aus den Gesundheitsberufen zu delegieren. Wie kann unsere Gesellschaft angesichts des Mangels an Pflegepersonal und der zunehmenden Alterung der Bevölkerung ein würdiges Lebensende für nicht mehr heilbare Menschen gewährleisten?, fragt sich der Professor. Es ist deshalb angezeigt, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen. Die Covid-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig es ist, diese Fragen in der Familie zu besprechen und eine Patientenverfügung zu unterzeichnen: Was soll geschehen, wenn ich krank werde? Welche medizinische Versorgung wünsche ich mir? Auf welche Behandlungen möchte ich verzichten? Vorurteile Die Frage nach der erwünschten Pflege stellt sich spätestens und unweigerlich dann, wenn sich der Gesundheitszustand irreversibel verschlechtert. Gemäss Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO ist «Palliative Care ein Ansatz und eine Begleitung zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit den Problemen konfrontiert sind, welche mit einer D lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen. Sie zielt darauf ab, körperliche, seelische, soziale und spirituelle Leiden zu lindern». «Man muss wissen, dass Palliativpflege nicht nur Krebspatienten betrifft und auch nicht zwingend auf einen kurz bevorstehenden Tod hindeutet», sagt Dr. Christian Bernet. Als Facharzt für Palliativmedizin und Direktor des Vereins für die Entwicklung von Palliative Care BEJUNE ist er der Gründer des mobilen Palliative-Care-Teams in der Region Bern-Jura-Neuenburg. Die Teams, die in Pflegeheimen, Krankenhäusern oder bei Privatpersonen zu Hause zum Einsatz kommen, übernehmen die Rolle von Experten für Angehörige der Gesundheitsberufe. Sie werden häufig tätig bei Patientinnen und Patienten, deren Lebenserwartung noch mehrere Monate oder sogar Jahre betragen kann, betont der Arzt. Seiner Meinung nach müssen in der Öffentlichkeit wie auch in Fachkreisen noch weitere Vorurteile abgebaut werden, insbesondere in Bezug auf den Einsatz von Morphium. Es stimmt nämlich nicht, dass diese Schmerzbehandlung das Sterben beschleunigt. Im Gegenteil: Morphium kann das Leben sogar verlängern. Die Medizin hat sich lange Zeit als allmächtig angesehen. Sie muss nun aber eingestehen, dass sie nicht alles und alle heilen kann. In der Schweiz sterben 40 Prozent der Menschen im Spital. Es bestehe immer noch ein erhebliches Potenzial zur Weiterentwicklung der Palliative Care zu Hause sowie in allen Pflegeeinrichtungen (inklusive Altersheimen und Spitälern), gibt sich Dr. Bernet überzeugt. Im internationalen Vergleich bewegt sich die Schweiz in diesem Bereich eher im Mittelfeld. Sie liegt jedenfalls hinter den angelsächsischen Ländern, den nordischen Ländern, aber auch hinter Ländern wie Japan oder Singapur zurück. VerbeszVg. Steffen Eychmüller
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