Damit die Seele wieder gesundet – Tragende Gemeinschaft Pour retrouver la santé psychique – Une communauté qui porte Nr . /No 76 —— Dezember / Décembre 2024 Das Magazin der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn Le Magazine des Eglises réformées Berne-Jura-Soleure
Inhalt —– ENSEMBLE 2024/76 I N H A L T I M P R E S S UM ENSEMBLE — Magazin für mitarbeitende, ehrenamtliche und engagierte Mitglieder der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn / Magazine pour les membres engagés, collaborateurs et bénévoles des Eglises réformées Berne-Jura-Soleure — Herausgeberin / Editeur: Reformierte Kirchen BernJura-Solothurn / Eglises réformées Berne-Jura- Soleure / Altenbergstrasse 66, Postfach / Case postale, 3000 Bern 22, ENSEMBLE@refbejuso.ch (auch für Abobestellungen) Erscheinungsweise / Parution: 4-mal pro Jahr / 4 fois par année — Auflage / Tirage: 7300 — Nächste Ausgabe / Prochaine parution: Juni / Juin Redaktion / Rédaction: Adrian Hauser (verantwortlich / responsable), Nathalie Ogi, Markus Dütschler, Kirchliche Bibliotheken (Schaufenster), Tony Marchand (Cartoon), Fabienne Bolliger (Layout) — Übersetzungen / Traductions: André Carruzzo, Rolf Hubler (Deutsch), Gabrielle Rivier, Nadya Rohrbach — Korrektorat / Corrections: Renate Kinzl — Titelbild / Image de couverture: KEYSTONE / DPA / Fabian Sommer Grafisches Konzept / Concept graphique: Neidhart Grafik, Klösterlistutz 18, 3013 Bern — Inhaltliches Konzept und Beratung / Concept du contenu et conseil: hpe Kommunikation, Sustenweg 64, 3014 Bern — Layout / Druck / Impression: Jost Druck AG, Rathausplatz 4, 3600 Thun 4 DOSSIER DAMIT DIE SEELE WIEDER GESUNDET Pour retrouver la santé psychique 8 Sie bleiben unsichtbar und brauchen mehr Hilfe 9 Maladies psychiques : un soutien pour les proches 10 10 13 FOKUS Interview «Eine Volkskirche verfügt über innere Vielfalt» Interview « Une Église multitudiniste est riche d’une diversité intérieure » 16 Sozialdiakonie Im Wald werden aus Kindern kleine Chefs 18 Sigristinnen Die Anspruchshaltung nimmt zu, das Kirchenwissen ab 20 21 Aide d’urgence : une impasse pour les jeunes Nothilfe Für Jugendliche eine Sackgasse 22 23 Kirche als virtueller Raum L’église en tant qu’espace virtuel 24 26 «Es ist nicht einfach, Flüchtling zu sein» « Ce n’est pas facile, d’être réfugié » 28 Zwischen Abschied und Neubeginn 29 KREUZ UND QUER Aus den Bezirken, Kirchgemeinden und dem Haus der Kirche DE LONG EN LARGE Régions, paroisses et Maison de l’Église 35 SCHAUFENSTER VITRINE
3 ENSEMBLE 2024/76 —– Editorial Psychische Erkrankungen nehmen stetig zu. Gemäss Manuela Grossmann, Pfarrerin der Kirchgemeinde Langnau, erkrankt jeder zweite Mensch im Laufe seines Lebens irgendwann an einer psychischen Krankheit. Plätze in spezialisierten Einrichtungen zur Behandlung von solchen Krankheitsbildern sind jedoch rar. Umso wichtiger sind vor diesem Hintergrund Nachbarschaftshilfe und ein tragendes Netzwerk. Die Kirchgemeinde Langnau organisierte deshalb in Zusammenarbeit mit den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn einen Vernetzungsanlass für Betroffene, Angehörige und Fachleute. Der Anlass zeigte, wie wichtig sorgende Gemeinschaften für Betroffene sind. Und: wie wichtig es ist, dass man auch im Rahmen einer solchen Publikation über das Thema spricht. Mit diesem Schwerpunktthema verabschiede ich mich als verantwortlicher Redaktor vom ENSEMBLE. Ich möchte meinen ehrfürchtigen Dank aussprechen, dass ich das ENSEMBLE über all die Jahre begleiten durfte. Als ich 2015 die Ausgabe Nr. 1 produzierte, hätte ich niemals gedacht, dass ich neun Jahre später in einer anderen Funktion – nämlich als Freischaffender mit meinem Projekt sprachgarage.ch – das Kirchenmagazin immer noch begleiten darf. Dabei konnte ich immer auf ein fähiges und professionelles Team, bestehend aus französischsprachiger Redaktion, Korrektorat, Layout und diversen Autorinnen und Autoren, zurückgreifen. Es hat definitiv Spass gemacht. Wir alle haben mit Freude viel Herzblut in diese Arbeit investiert. Die Publikation ENSEMBLE wird 2025 im Sinne der integrierten Kommunikation in den Kommunikationsdienst der Reformierten Kirchen BernJura-Solothurn eingegliedert und von diesem produziert. Geplant ist nach dem zehnjährigen Bestehen des Hefts eine Neuausrichtung, über die der Synodalrat aber erst Anfang 2025 befinden wird. Nach einer Überarbeitungspause wird das nächste Heft darum aller Voraussicht nach im Juni 2025 erscheinen. Les maladies psychiques sont en constante augmentation. Selon Manuela Grossmann, pasteure de la paroisse de Langnau, une personne sur deux en souffrira un jour ou l’autre au cours de sa vie. Or, rares sont les places disponibles dans les établissements spécialisés dans le traitement de ces pathologies. L’aide du voisinage et un réseau de soutien comptent d’autant plus. C’est pourquoi la paroisse de Langnau a organisé, en collaboration avec les Églises réformées Berne- Jura-Soleure, une rencontre de mise en réseau pour les personnes concernées, les proches et les spécialistes de la santé mentale. L’événement a montré l’importance des communautés de soutien pour les personnes touchées par une maladie psychique. Et à quel point il est important de parler de ce thème dans le cadre d’une telle publication. C’est avec ce thème central que je vous fais mes adieux en tant que rédacteur responsable d’ENSEMBLE. Je tiens à exprimer ma respectueuse gratitude d’avoir pu accompagner ENSEMBLE durant toutes ces années. Lorsque j’ai produit le numéro 1 en 2015, je n’aurais jamais imaginé que neuf ans plus tard, j’aurais la possibilité d’accompagner le magazine d’Église en occupant une autre fonction, à savoir en tant qu’indépendant avec mon projet sprachgarage.ch. J’ai toujours pu m’appuyer sur une équipe compétente et professionnelle, composée d’une rédactrice francophone, d’une correctrice, de graphistes et de divers auteurs et auteures. C’est avec plaisir que nous avons toutes et tous mis beaucoup de cœur à l’ouvrage. En 2025, la publication ENSEMBLE sera intégrée au service de communication des Églises réformées Berne-Jura-Soleure et produite par ce dernier, dans l’esprit d’une communication intégrée. Une réorientation est prévue après les dix ans d’existence du magazine, mais le Conseil synodal ne se prononcera sur la question qu’au début de l’année 2025. Après une pause, le prochain numéro paraîtra probablement en juin 2025. GESCHÄTZTE LESERINNEN UND LESER CHÈRES LECTRICES, CHERS LECTEURS F E D I T O R I A L Wehmütig wünsche ich eine informative Lektüre Avec nostalgie, je vous souhaite une bonne lecture Adrian Hauser, verantwortlicher Redaktor / rédacteur responsable
4 Dossier —– ENSEMBLE 2024/76 Psychische Erkrankungen nehmen zu, nicht nur in Städten, sondern auch auf dem Land. Hier setzt die kirchliche Sozial-Diakonie an. Im Emmental werden Betroffene, Angehörige und Fachleute zu psychischer Gesundheit miteinander vernetzt und unterstützt. Denn sorgende Gemeinschaften werden immer wichtiger. Von Karl Johannes Rechsteiner «Psychische Erkrankung – sprechen wir darüber» lautete vor zwei Jahren der Titel eines Artikels auf der Frontseite der Wochen-Zeitung für das Emmental und Entlebuch, und auch andere Medien berichteten darüber. Die Publikationen wirken bis heute nach. Das Thema angepackt hatte die Kirchgemeinde Langnau in Zusammenarbeit mit dem Bereich Sozial-Diakonie der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn. Anlass für dieses Engagement war eine Studie der Universität Bern aus dem Jahr 2022, die ergab, dass 19 bis 31 Prozent der Jugendlichen zwischen elf und 21 Jahren sich psychisch belasteter fühlen als vor der Corona-Pandemie. «Da habe ich gedacht, da müssen wir doch was tun können», erinnert sich Pfarrerin Manuela Grossmann. Jeder zweite Mensch leide im Laufe seines Lebens irgendwann an einer psychischen Krankheit. Die Erkenntnisse der Studie bestätigten ihre Erfahrungen in der Seelsorge, erklärt die Pfarrerin in Langnau: «Psychische Erkrankungen nehmen zu und dürfen also kein Tabu sein.» Deshalb organisierte sie sogenannte «ensa-Kurse». Diese funktionieren wie Nothelferkurse und befähigen Laien, Erste Hilfe zu leisten, wenn eine psychische Krise eintritt. Denn Früherkennung, Nachbarschaftshilfe und kompetente Beratung sind bei psychischen Erkrankungen besonders wichtig. Erfolgreiche Erste-Hilfe-Kurse Dank der Medienberichte stiessen die erstmals im oberen Emmental durchgeführten Anlässe auf ein enormes Echo. Dutzende Personen meldeten sich für die Angebote, welche die Kirchgemeinde gemeinsam mit den Fachfrauen Alena Gaberell und Helena Durtschi des Bereichs Sozial-Diakonie der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn durchführten. Bisher konnten 104 Ersthelfende ausgebildet werden, und die Rückmeldungen auf die Weiterbildungen waren durchwegs positiv. Während der Kurse wurde allen Beteiligten klar, wie wichtig die Sensibilisierung, Nothilfe für Betroffene und die Entlastung von Angehörigen ist. Gleichzeitig sind jedoch manche Angebote kaum bekannt. Es bestehen zudem wenig Vernetzungen von Fachstellen oder mit Menschen in ähnlicher Lage in der Familie oder am Arbeitsplatz. Selbst untereinander kennen sich manche Fachleute nicht einmal. Das Bedürfnis nach Vernetzung ist also hoch. Folgerichtig trafen sich nun gut 30 Interessierte Ende Oktober 2024 zu einem ersten Vernetzungsanlass. Netz von Betroffenen und Fachleuten Bei einem Beinbruch oder hohem Fieber finden Patientinnen oder Patienten rasch Hilfe in Notaufnahmen von Krankenhäusern oder via hausärztliche Dienste. Doch mit einer Depression, einer Zwangsstörung, einem Burnout oder einer Suchterkrankung ist sogar nach einer klaren Diagnose guter Rat oft gefragt. Denn die Plätze in passenden Einrichtungen sind rar. Betroffene warten manchmal monatelang auf Hilfe und werden alleingelassen, obwohl sie sofort Begleitung, Betreuung oder Beobachtung bräuchten. Einige Betroffene erzählten an der Vernetzungstagung von solch belastenden Erfahrungen. Auch Angehörige und Vertrauenspersonen von psychisch belasteten oder erkrankten Menschen stossen oft an ihre Grenzen und benötigen UnterDAMIT DIE SEELE WIEDER GESUNDET TRAGENDE GEMEINSCHAFT POUR RETROUVER LA SANTÉ PSYCHIQUE UNE COMMUNAUTÉ QUI PORTE
5 ENSEMBLE 2024/76 —– Dossier © KEYSTONE / WESTEND61/ Vitta Gallery stützung und Entlastung. Die Veranstaltung im reformierten Kirchgemeindehaus in Langnau setzte hier ein Zeichen. Denn ganz selbstverständlich kamen da unterschiedlichste Menschen miteinander ins Gespräch. Zum Beispiel Leute von Emmentaler Fachstellen aus Psychiatrie und Krisenintervention, für Ehe und Partnerschaft, von Spitex, Angehörigenberatung, Ärzte, die Stiftung Berner Gesundheit, Selbsthilfegruppen, Sozialdienste, Jugendarbeit, Erziehungsberatung, freiberufliche Pflegefachfrauen oder Gemeinderätinnen aus der Region. Noch ist es nicht üblich, dass Betroffene, Angehörige und Fachpersonen gemeinsam ihre Erfahrungen reflektieren. Das Emmentaler Netzwerk ist hier eine Pionierin. Das gegenseitige Kennenlernen der Organisationen und ihrer Angebote ist enorm hilfreich. Auch Freiwillige, die etwa einen Erste-Hilfe-Kurs für psychisch Erkrankte besucht haben, spielen eine wichtige Rolle, vor allem in einer frühen Phase einer Krise oder präventiv im tragenden Umfeld. Manuela Grossmann ist überzeugt, dass die noch ungewohnte Kooperation der Betroffenen und Angehörigen mit Fachstellen allen Beteiligten weiterhilft. Psychische Erkrankung als Kunstwerk der Seele Solch stützende Netze sind auch Teil des Konzepts der «Caring Community», der sorgenden Gemeinschaft, für die sich diverse Organisationen, politische und Kirchgemeinden engagieren. In «Caring Communities» wollen Menschen füreinander sorgen und Verantwortung für soziale Aufgaben wahrnehmen, in grosser Vielfalt, Offenheit und Partizipation. Pfarrerin Manuela Grossmann gefällt der Begriff der «Räume des Helfens», wo Krisen aufgefangen werden und sich Wege der Entwicklung öffnen. Im Bewusstsein eines solch ganzheitlichen Verständnisses von Gesundheit begleitet auch der entsprechende Bereich der Berner Fachhochschule die Vernetzung im Emmental. «Geh doch mal an die Sonne» oder «Reiss dich etwas zusammen» – gut gemeinte Ratschläge bei seelischen Krisen können Betroffene verletzen und eine Negativspirale gar verstärken. Psychische Erkrankungen bilden oft ein Tabu, über das nicht gerne gesprochen wird. Umso bedeutungsvoller sind die Wissensvermittlung über psychische Erkrankungen und der Austausch von Menschen in ähnlicher Lage in der Familie oder am Arbeitsplatz. «Psychische Erkrankungen dürfen wir nicht nur negativ sehen», erklärt Manuela Grossmann. Wir sollten ihnen offen begegnen, sie seien auch «Kunstwerke der Seele», gerade bei Menschen, die besonders sensitiv auf unsere verrückte Welt reagieren. Verständnis kann nur durch Verstehen entstehen, wenn immer mehr Leute die Hintergründe solcher Krankheiten kennen. Es braucht Öffentlichkeitsarbeit, um eine Veränderung des Bildes von psychischen Erkrankungen voranzutreiben. Ein Netzwerk, das weiter geht Die Erwartungen ans neue Netzwerk wurden beim ersten Treffen mehr als erfüllt, weil alle Beteiligten mit Herzblut mitmachten. «Es ist etwas in Bewegung gekommen», stellt Mitorganisatorin Helena Durtschi von den Reformierten Kirchen Bern-JuraSolothurn fest. Und Miriam Deuble, stellvertretende Bereichsleiterin Sozial-Diakonie, bestätigt: «An der Basis hat sich gezeigt, dass psychische Gesundheit ernster genommen werden muss.» Die Teilnehmenden an der Langnauer Tagung waren sich einig, dass ihr Treffen erst ein Anfang war. Sie wollen sich weiter für die Ziele des Netzwerks einsetzen: − Kontinuierliche Sensibilisierung der Bevölkerung zum Thema psychische Gesundheit − Vermittlung von Kompetenzen zur Prävention und Früherkennung psychischer Belastungen, zum Beispiel durch Weiterführung der ErsteHilfe-Kurse − Aufbau von Systemen der Unterstützung und Entlastung von Angehörigen und Vertrauenspersonen psychisch belasteter oder erkrankter Menschen, zum Beispiel mit Angehörigengruppen − Bekanntmachung und Vernetzung bestehender Angebote Das Projekt könnte nicht nur im oberen Emmental Impulse geben, sondern auch andere Regionen inspirieren. «Gemeinsam können wir diese Themen weiterdenken und in der Gemeinde breiter abgestützt verankern», freut sich Pfarrerin Manuela Grossmann. Ihre Motivation ist so einfach wie klar: «Wer in einer psychischen Krise steckt, sollte nicht alleingelassen werden. Wir wollen einfach Menschen zusammenbringen, die sich gegenseitig unterstützen.» Gut gemeinte Ratschläge bei seelischen Krisen können Betroffene verletzen und eine Negativspirale gar verstärken. En cas de crise psychique, des conseils bien intentionnés peuvent blesser les personnes concernées et même renforcer une spirale négative.
6 Dossier —– ENSEMBLE 2024/76 © KEYSTONE / WESTEND61 / SPECTRAL retours sont toujours positifs. Elles leur ont fait prendre conscience de l’importance de la sensibilisation, de l’aide d’urgence aux malades et de l’assistance aux proches. Certaines offres sont toutefois méconnues. De plus, les contacts entre services spécialisés ou personnes vivant des situations similaires dans le cadre familial ou professionnel sont peu développés. Beaucoup de spécialistes ne se connaissent même pas. La première rencontre de mise en réseau, organisée en octobre 2024 avec une bonne trentaine d’intéressé-e-s, répondait donc à un réel besoin. Réseau de personnes touchées et de spécialistes En cas de jambe cassée ou de forte fièvre, les patient-e-s trouvent rapidement de l’aide aux urgences ou par les services de soins à domicile. Mais face à une dépression, un trouble obsessionnel compulsif, un burnout ou une addiction, un bon conseil s’avère souvent nécessaire même après un diagnostic clair, car les places dans une institution adaptée sont rares. Les personnes touchées attendent parfois des mois et sont livrées à ellesmêmes alors qu’elles auraient besoin d’être accompagnées, prises en charge ou suivies. Quelques-unes ont évoqué ces expériences éprouvantes lors de la rencontre. Souvent, les proches et personnes de confiance d’individus souffrant de problèmes ou maladies psychiques atteignent leurs limites et ont aussi besoin d’être soutenus et soulagés. La manifestation à la paroisse réformée de Langnau a montré la voie et permis à un public issu d’horizons très divers d’engager naturellement le dialogue. Des représentant-e-s des services spécialisés emmentalois en psychiatrie et intervention de crise et pour couples et partenariats, de l’aide et soins à domicile et du conseil aux proches, ainsi que des médecins étaient sur place. Tout comme la fondation Santé bernoise, des groupes d’entraide, des services sociaux, le travail auprès de la jeunesse, le Service psychologique pour enfants et adolescents et des conseils communaux de la région. Il n’est pas encore habituel que les personnes touchées, les proches et les spécialistes analysent ensemble leurs expériences. Le réseau emmentalois fait ici œuvre de pionnier. Il est très utile pour les organisations d’avoir la possibilité de faire connaissance et mettre leurs offres en évidence. Les bénévoles ayant suivi par exemple un cours de premier secours en santé mentale jouent aussi un rôle important, surtout au stade précoce d’une crise ou pour la prévention auprès des proches aidants. Manuela Grossmann est convaincue que la coopération des personnes touchées et leurs proches avec les services spécialisés profitera à tous les intéressé-e-s. Les maladies psychiques augmentent, dans les villes, mais aussi à la campagne. C’est ici qu’intervient la diaconie de l’Église. En Emmental, personnes touchées, proches et spécialistes de la santé psychique sont mis en réseau et soutenus dans un contexte où les communautés bienveillantes prennent une importance accrue. Par Karl Johannes Rechsteiner « Les maladies psychiques – parlons-en » : il y a deux ans, la Wochen-Zeitung für das Emmental und Entlebuch publiait en première page un article sur la question. Un thème dont parleront aussi d’autres médias. Ces publications continuent d’avoir des effets. La paroisse de Langnau, en collaboration avec le secteur Diaconie des Églises réformées Berne-Jura-Soleure, s’était attelée à ce problème après la parution, en 2022, d’une étude de l’Université de Berne montrant que 19 à 31 % des jeunes de 11 à 21 ans se sentaient psychiquement plus atteints qu’avant la pandémie de coronavirus. « Je me suis dit que nous pourrions faire quelque chose », se rappelle Manuela Grossmann, pasteure à Langnau. Dans sa vie, une personne sur deux va souffrir d’une affection psychique. Les résultats de l’étude ont confirmé ses expériences d’accompagnante spirituelle : « Les maladies psychiques augmentent, elles ne doivent donc pas être un tabou. » C’est pourquoi elle a organisé des « cours ensa ». Conçus comme une formation de secouriste, ils apprennent à des profanes à apporter un premier secours en cas de crise psychique. Car la détection précoce, l’aide de proximité et un conseil compétent sont extrêmement importants lors de maladies psychiques. Des cours de premiers secours très appréciés Grâce aux articles de presse, les offres, proposées d’abord dans le Haut-Emmental, ont eu un énorme écho. Des dizaines de personnes se sont inscrites à ces cours, mis sur pied par la paroisse en collaboration avec Alena Gaberell et Helena Durtschi, spécialistes du secteur Diaconie des Églises réformées Berne-Jura-Soleure. À ce jour, 104 secouristes ont suivi ces formations, et leurs F Un conseil compétent est particulièrement important en cas de maladie psychique. Kompetente Beratung ist bei psychischen Erkrankungen besonders wichtig.
7 ENSEMBLE 2024/76 —– Dossier Oeuvre d’art de l’âme Ces réseaux de soutien sont un exemple de « caring community » promue par diverses organisations, communes et paroisses. Les personnes œuvrant dans ces « communautés bienveillantes » entendent prendre soin les unes des autres et assumer des tâches sociales en cultivant la diversité, l’ouverture et la participation. La pasteure Manuela Grossmann aime à parler d’« espaces d’aide » où les crises sont appréhendées et où s’ouvrent des voies de développement. Le département compétent de la Haute école spécialisée bernoise accompagne la mise en réseau dans l’Emmental conformément à cette conception holistique de la santé. « Va prendre l’air », « ressaisis-toi » : ces conseils bien intentionnés peuvent blesser les personnes en crise, voire renforcer une spirale négative. Les maladies psychiques sont souvent un tabou. Il est d’autant plus important de transmettre les connaissances sur ces affections et d’échanger entre personnes vivant des situations similaires dans le cadre familial ou professionnel. « Il ne s’agit pas de voir uniquement le côté négatif des maladies psychiques », explique Manuela Grossmann. Nous devrions les appréhender avec ouverture, car elles sont aussi des « œuvres d’art de l’âme », surtout chez les personnes particulièrement sensibles à la folie de notre monde. Pour être compréhensif, il faut d’abord bien saisir les fondements de ces maladies. D’où la nécessité de sensibiliser le public afin de faire évoluer l’image des maladies psychiques. Un réseau qui continue de se développer Les attentes envers le nouveau réseau ont été plus que comblées lors de la première rencontre, grâce à l’investissement de toutes les parties prenantes. « Quelque chose a bougé », constate la co-organisatrice Helena Durtschi, des Églises réformées Berne-Jura-Soleure. Miriam Deuble, responsable suppléante du secteur Diaconie le confirme : « À la base, on a constaté que la santé psychique devait être prise au sérieux. » Les participant-e-s à la rencontre à Langnau ont convenu qu’il ne s’agissait que d’un début et entendent continuer de s’engager pour les objectifs du réseau, à savoir : − la sensibilisation permanente de la population au thème de la santé psychique − la transmission de compétences en matière de prévention et de détection précoce, p. ex. avec la poursuite des cours de premier secours − le développement de systèmes permettant de soutenir et soulager les proches et les personnes de confiance d’individus souffrant de problèmes ou maladies psychiques, p. ex. avec des groupes d’entraide − la promotion et la mise en réseau d’offres existantes Ce projet est susceptible de donner des impulsions dans le Haut-Emmental, mais aussi d’inspirer d’autres régions. « Nous pourrons poursuivre ensemble la réflexion sur ces thématiques et les intégrer plus largement au sein des paroisses », se réjouit la pasteure Manuela Grossmann. Sa motivation est simple et claire : « Une personne qui traverse une crise psychique ne devrait pas être laissée seule. Nous voulons simplement réunir des gens qui se soutiennent mutuellement. » © KEYSTONE / DPA / Sina Schuldt Un travail de relations publiques est nécessaire pour faire évoluer l’image de la maladie mentale. Es braucht Öffentlichkeitsarbeit, um eine Veränderung des Bildes von psychischen Erkrankungen voranzutreiben.
8 Dossier —– ENSEMBLE 2024/76 © KEYSTONE / Patrick Huerlimann ANGEHÖRIGE Sie bleiben unsichtbar und brauchen mehr Hilfe Die Zahlen der im März erschienenen Sotomo-Studie überraschen: Mehr als die Hälfte der Erwachsenen unterstützt eine nahestehende Person, die psychisch erkrankt ist. Die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn haben reagiert. Von Helena Durtschi * In der Schweiz sind es aktuell 2,1 Millionen Menschen, die sich um eine psychisch kranke Person kümmern. Das kann die an Schizophrenie erkrankte Tochter sein, der Ehemann mit Suizidgedanken oder die Mutter, die an einer Angststörung leidet. Auch am Vernetzungsanlass in Langnau meldeten sich Angehörige zu Wort und erzählten in eigenen Worten, was auch in der Sotomo-Studie aufgenommen wird: Angehörige fühlen sich alleingelassen, überfordert, nicht ernst genommen und erhalten kaum fachliche Unterstützung. Nicht selten führt sie ihr Engagement an den Rand der eigenen Erschöpfung. Angehörige entlasten System Obwohl in Kliniken das Bewusstsein für die Situation der Angehörigen da ist, fehlt den behandelnden Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegenden die Zeit, um sich um die Angehörigen zu kümmern. Das ist fatal, denn Angehörige sind für die Betroffenen wichtig und für das Gesundheitssystem eine grosse Entlastung. Aus den Studienergebnissen wird deutlich, dass psychisch erkrankte Personen ohne die Angehörigen zusätzliche professionelle Hilfe in Anspruch nehmen müssten. Ein besonderes Augenmerk richtet die Studie auf die sogenannten «young caregivers». Das sind Kinder und Jugendliche, die sich um ein Familienmitglied, meist den eigenen Vater oder die eigene Mutter, kümmern. Dreijähriges Projekt Hilfe und Unterstützung leisten Fachstellen von Kliniken und der schweizweit tätige Verein «stand by you». Rückgrat von «stand by you» sind die regionalen Organisationen der VASK. Sie bieten Schulungen, Vernetzungen, Selbsthilfegruppen und Beratungen an. Alle Angebote entstehen ausschliesslich durch Freiwillige, meist Personen, die selber eine schwierige Geschichte durchleben mussten. Lisa Bachofner, Leiterin der VASK Bern, sagt dazu: «Wir könnten noch viel mehr leisten, die Anfragen übertreffen bei weitem das, was wir mit unseren Ressourcen leisten können.» Der Synodalrat der Reformierten Kirchen BernJura-Solothurn hat nun reagiert und ein dreijähriges Projekt bewilligt, das zusammen mit anderen Organisationen und Betroffenen Angebote in Kirchgemeinden schaffen soll. Sotomo-Studie Was Angehörige leisten, geht oft vergessen. Zu Unrecht! Denn psychische Probleme belasten nicht nur Betroffene, sondern auch das Umfeld. Erstmals zeigt die im März 2024 erschienene Sotomo-Studie auf, dass aktuell rund die Hälfte der erwachsenen Personen als An- oder Zugehörige ihre Nächsten unterstützen. Viele Engagierte fühlen sich alleingelassen. Informationen Sotomo-Studie «Stand by you»: sotomo.ch Neue 30-Prozent-Projektstelle In Zusammenarbeit mit Kirchgemeinden sowie bereits vorhandenen Beratungsstellen und peers sollen Angebote geschaffen werden, die Angehörige und Begleitpersonen von psychisch kranken Menschen in verschiedener Weise unterstützen und entlasten. Informationen diakonierefbejuso.ch (Stichwort: Angehörige) * Fachmitarbeiterin Bildung / RefModula Michael Hermann, Leiter der Forschungsstelle Sotomo. Michael Hermann, directeur du Centre de recherche Sotomo.
9 ENSEMBLE 2024/76 —– Dossier qualité de vie de la personne touchée par des troubles psychiques. « L’association des familles et amis de personnes souffrant de maladie psychique organise des conférences et participe aux Journées de la schizophrénie et de la santé mentale, ainsi qu’à des rencontres informelles entre professionnels de la santé, personnes concernées et proches », explique son président Fernando Fiori. « Les gens sont libres d’y évoquer leurs émotions, comme le sentiment de culpabilité qui revient fréquemment, ou la peur de la stigmatisation. » Comprendre la maladie permet souvent de mieux accompagner la personne atteinte. Une nouvelle formation pour les proches devrait d’ailleurs débuter au printemps au CNP. Elle sera axée sur le rétablissement de la personne – et non la guérison – et devrait introduire des « plans de crise conjoints » qui permettent à la personne touchée et à ses proches de repérer les signes avant- coureurs d’un épisode psychotique, précise Hans-Christophe Schmidt. Adopter les bons réflexes, savoir reconnaître une situation dangereuse et comment apporter de l’aide, autant de connaissances de base que fournissent également les formations ensa, ou premiers secours en santé mentale. Une formation, mise en place il y a une année par les Églises réformées Berne-Jura-Soleure et qui est saluée par les associations de proches de personnes souffrant de troubles mentaux. « Ces cours sont les bienvenus. Ils peuvent aider à comprendre la personne atteinte et à moins souffrir soi-même », relève Fernando Fiori. Informations afs-schizo.ch a3jura.ch/A3Jura/Qui-somme-nous/Presentation/ Presentation.html © KEYSTONE / WESTEND61 / Giorgio Fochesato Comprendre la maladie pour mieux accompagner la personne atteinte. Man muss über die Krankheit Bescheid wissen, um Betroffene begleiten zu können. Maladies psychiques Un soutien pour les proches Comment réagir face à une crise ? Où trouver de l’aide ? À Bienne, dans le Jura bernois et le Jura, des associations offrent conseils et soutien aux proches de personnes souffrant de troubles mentaux : schizophrénie, troubles bipolaires ou dépression. Par Nathalie Ogi « L’apparition de la schizophrénie bouleverse non seulement la vie de la personne malade, mais a aussi des conséquences dramatiques pour son entourage », explique Hans-Christophe Schmidt. Cet ingénieur à la retraite préside l’Association de familles et amis de personnes souffrant de schizophrénie dans la région Berne-Neuchâtel (AFS). Elle compte environ 160 membres et a proposé durant une vingtaine d’années, avec le réseau de santé mentale de Bienne et le Centre neuchâtelois de psychiatrie (CNP), une formation psycho-éducative pour les proches. Un programme pointu visant à permettre de mieux comprendre les symptômes de la maladie : comportement irrationnel, opposition, agressivité, état dépressif, alcoolisme ou toxicomanie, refus de se soigner, etc. « La personne concernée peut aussi souffrir de délires qui la font se prendre pour Jésus par exemple », souligne Hans-Christophe Schmidt. Une souffrance extrême qui suscite angoisse, incompréhension et sentiment d’impuissance chez les familles. À ce désarroi, s’ajoutent encore la méfiance et l’incrédulité envers les professionnels et le diagnostic. Souvent, les proches sombrent à leur tour dans le désespoir et la dépression, traversent une rupture familiale et des problèmes financiers, qui ont à leur tour des retombées négatives pour la personne atteinte. C’est pourquoi, il est important que les personnes malades ne soient pas laissées à ellesmêmes. Si la formation psychopédagogique a été abandonnée il y a quelques années faute de ressources et de moyens financiers, l’AFS tient toujours bénévolement une ligne téléphonique, où elle dispense des informations, des conseils et propose écoute, soutien et réconfort. Une approche globale L’A3 Jura s’est élargie à l’ensemble des maladies psychiques pour le canton du Jura. Cette association auto-gérée et bénévole, table sur une approche globale de la maladie. L’intégration des proches dans le processus de soins permet d’améliorer la
10 Fokus —– ENSEMBLE 2024/76 INTERVIEW «EINE VOLKSKIRCHE VERFÜGT ÜBER INNERE VIELFALT» Matthias Zeindler leitete bei den gesamtkirchlichen Diensten im Haus der Kirche seit 2010 den Bereich Theologie. Zudem war er Titularprofessor für Systematische Theologie an der Universität Bern. Ende November ist er mit einem Jahr Verzögerung in den Ruhestand getreten. Ein Rückblick auf sein vielfältiges Engagement. Von Markus Dütschler * Sie haben sich nicht nur in Uni-Kreisen bewegt, sondern waren Gemeindepfarrer in Gerlafingen und Erlach. Inwiefern kommt man in einer Kirchgemeinde als Theologieprofessor auf die Welt? Matthias Zeindler: Bei mir war es eher umgekehrt. Ich wollte immer ins Pfarramt und war auch zuerst Pfarrer. Eine akademische Karriere plante ich nicht. Nachdem ich meinen Doktor gemacht und einige Jahre als Pfarrer gearbeitet hatte, hatte ich das Bedürfnis, nochmals ein wissenschaftliches Buch schreiben. Nach Erlangen der Habilitation hatte ich dann eine Lehrverpflichtung an der Universität in Systematischer Theologie. Ich empfand Uni und Gemeindepfarramt nie als Gegensatz. Die akademische Theologie hat mir im Beruf sehr geholfen. In Gerlafingen wohnten viele Stahlarbeiter, in Erlach besuchten vor allem Landwirte und Gewerbler den Gottesdienst. Immer wieder wurde mir gesagt, das Schöne bei mir sei, dass man mich so gut verstehe. In Erlach haben Sie die Stelle mit Ihrer Ehefrau geteilt. Welche Voraussetzungen braucht es, damit ein solches Jobsharing funktioniert? Wir haben die Arbeitsbereiche sauber abgetrennt, so konnten beide ihre Arbeit so gestalten, wie es ihnen entsprach. Auch die Familienarbeit mit den beiden Kindern und die Tätigkeiten in Haushalt und Garten haben wir aufgeteilt. Das Engagement an der Uni fand in meiner Freizeit statt. Oft hört man, es gebe eine Kluft zwischen der hehren Theorie und der handfesten Praxis. Im Pfarramt vergesse man gescheiter, was man an der Uni gelernt hat. Mein Gebiet ist die Systematische Theologie. Diese versucht zu formulieren, was christlicher Glaube heute bedeutet. Dies setzt einen engen Bezug zum Leben voraus. Ich empfand diesen angeblichen Graben nie. Sehr gerne habe ich Vorträge in Kirchgemeinden gehalten. Das zwingt einen, auch komplexe Dinge klar und einfach zu formulieren. Ein Vortrag ist keine Predigt und eine Predigt keine Vorlesung. Wie unterscheiden sie sich? In der Tat soll man in einer Predigt keine Stellen aus irgendeinem Bibelkommentar zitieren oder auf Unterschiede bei Quellenfunden eingehen. Als Theologe will ich biblische Themen ins heutige Leben übersetzen. Predigten sollen anspruchsvoll sein, aber auch verständlich. Nicht weniger problematisch sind freilich triviale Predigten, in denen man nichts anderes hört als das, was in der Zeitung zu lesen ist. Einige Studierende hoffen, dass sie durch das Theologiestudium ihren Glauben vertiefen können. Andere verlieren sämtliche Gewissheiten, die sie vorher hatten. Wie war das bei Ihnen? Mir hat das Studium enorm geholfen, meinen Glauben zu vertiefen, gerade auch der kritische Zugang zur Bibel und zur Kirche. Dabei werden Gewissheiten erschüttert, ja, aber das ist nichts Schlechtes. Auch der Dichter in Psalm 23 wandelt «im finsteren Tal», ist sich aber gewiss, dass ihn Gott nicht verlässt. Die Vielfalt der Bibel erzeugt Erschütterungen und Zweifel, aber das gehört zum Glauben. Das macht einen vielleicht weniger anfällig für die grosse Glaubenskrise. Eine solche hatte ich offen gestanden nie. Wer Theologie studiert, kann sich ähnlich wie Phil.-hist.-Leute für verschiedenste Berufe bewer-
11 ENSEMBLE 2024/76 —– Fokus Matthias Zeindler © zVg / Refbejuso ben. An welchen ungewöhnlichen Orten haben Sie Theologinnen und Theologen angetroffen? Spontan kommen mir drei Personen mit Theologiestudium in den Sinn, die im späteren Berufsleben eine Justizvollzugsanstalt geleitet haben, so im Thorberg, in Hindelbank oder in St. Johannsen. Man trifft andere in Chefetagen, wo sie für das HR zuständig sind, etwa beim Chemiekonzern Roche. Die Zahl der Studierenden in Theologie ist stark rückläufig. Und dies, obwohl einem ein anständig besoldetes Berufsleben in relativer Sicherheit winkt. Weshalb ist das so? Zweifellos hängt das mit der Säkularisierung und dem Bedeutungsverlust der Kirchen zusammen. Vielen erscheint eine solche Tätigkeit darum nicht mehr als attraktiv. Auch sind die Karrieremöglichkeiten begrenzt. Früher gaben der Pfarrer, der Lehrer, der Doktor und der Gemeindepräsident in einem Dorf den Ton an. Heute zählt die Soziologie Pfarrpersonen zur «deklassierten Elite». Wie sind Sie selbst mit diesem Bedeutungsverlust umgegangen? Eine gewisse Aufwertung bietet der Professorentitel (lacht). In den 14 Jahren, in denen ich nicht mehr im Pfarramt war, hat sich diesbezüglich einiges verändert, der Bedeutungsverlust der Kirche hat nochmals spürbar zugenommen. Auch den Wechsel bei der Anstellung von Pfarrpersonen vom Kanton zur Kirche haben manche Pfarrkolleginnen und -kollegen als Statusverlust empfunden. Wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass auch Lehrpersonen oder die «Halbgötter in Weiss» nicht mehr das Renommee von einst geniessen. Bei den Pfarrpersonen ist es aber wohl am spürbarsten. Wie liesse sich das ändern? Wir sollten uns mehr auf eine intrinsische Motivation konzentrieren, auf das, was man theologisch als Auftrag der Kirche bezeichnet. Den Pfarrberuf üben wir letztlich aus, weil Gott will, dass das Evangelium verkündet wird. Das ist unsere Legitimation, egal für wie wichtig dies die Gesellschaft hält. Ein von Ihnen herausgegebenes Buch trägt den Titel «Theologie am Nullpunkt. Karl Barth und die Krise der Kirche». Was sagt uns der protestantische Kirchenvater des 20. Jahrhunderts zu diesem Bedeutungsverlust? Schon vor über einem Jahrhundert war Barth klar, dass die starke gesellschaftliche Stellung der Kirche auf tönernen Füssen ruht. Er erlebte mit, wie sich viele Arbeiter von der Kirche abwenden. Der Theologieprofessor und vormalige Gemeindepfarrer stand der Säkularisierung recht gelassen gegenüber. Ihm war bewusst, dass ernsthaftes Christentum stets die Sache einer Minderheit sein würde. Von Barth habe ich übrigens die grosszügige Sicht auf die Menschen gelernt. Alle sind von Gott angenommen, egal wie sie selbst sich zum Glauben stellen. Mit dieser Brille findet man leichter den Zugang zu allen Menschen. Die Landeskirchen haben gegenüber dem Kanton ihre «Leistungen im gemeingesellschaftlichen Interesse» dargelegt. Der Grosse Rat zeigte sich im September davon beeindruckt und beschloss für die nächsten sechs Jahre eine finanzielle Abgeltung. Das ist für die Landeskirchen eine Genugtuung. Wie kommentieren Sie das als Theologe? Es ist richtig und wichtig, dass Gesellschaft und Politik diesen Bericht zur Kenntnis nehmen. Gäbe es ihn nicht, wüssten manche im Grossen Rat nicht, was von den Kirchen alles geleistet wird. Allerdings ist es nicht einfach, diese Leistungen vom Kultischen klar zu trennen. Beides gehört zur Kirche: der Gemeindegottesdienst am Sonntag und die anderen Aktivitäten montags bis samstags. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Kirche hat viel mit ihrem geistlichen Kern zu tun. Interessanterweise hat sich ein Bekannter aus der Wirtschaft in einem persönlichen Gespräch in ähnlicher Weise geäussert: Er erwarte von der Kirche, dass sie in der Öffentlichkeit theologisch fundierte © zVg / Refbejuso
12 Fokus —– ENSEMBLE 2024/76 Standpunkte vertrete und sich nicht allein sozial betätige. Eine weitere NGO brauche niemand. Dem pflichte ich ihm vollkommen bei. Deshalb finde ich es auch richtig, dass in den Legislaturzielen des Synodalrats explizit steht: «Gott zur Sprache bringen». Es reicht heute nicht mehr, dies stillschweigend als gegeben zu betrachten. Viele Menschen erwarten dieses Profil, seien sie fromm oder säkular. Ich weiss, dass es bürgerliche Politiker gibt, die für eine harte Asylpolitik eintreten, es aber trotzdem gutheissen, wenn sich die Kirchen in der Flüchtlingshilfe engagieren. Denn es sei die Aufgabe der Kirche, sich für Menschen in Not einzusetzen. Ökumene ist heutzutage Standard. Besteht nicht auch hier die Gefahr, dass die einzelnen Kirchen an Profil einbüssen? Wir Reformierte fragen uns immer wieder, was reformiert sein bedeutet. Ähnliche Fragen treiben im Grunde jede Kirche um. Wie profiliert und klar soll eine Kirche sein, wie breit muss sie als Volkskirche aufgestellt sein? Wie geht sie mit Distanzierten um, wie stark stellt sie sich hinter die Engagierten? Diese Spannungen müssen stets von Neuem ausbalanciert werden. Die Ökumene ist eine wertvolle Errungenschaft, früher wollten Reformierte und Katholiken nichts miteinander zu tun haben. Doch die Lage ist heute wieder eine ganz andere: Wir stehen nicht mehr nur mit anderen christlichen Kirchen im Dialog, sondern auch mit anderen Religionen. Neben dem ökumenischen gibt es auch den interreligiösen Dialog. Die Haltung der Landeskirche dazu hat der Synodalrat kürzlich in der Broschüre «Christlicher Glaube und Pluralität in reformierter Perspektive» festgehalten. Der Begriff Volkskirche ist nur noch bedingt anwendbar. Ein Buch, bei dem Sie mitgewirkt haben, trägt den Titel «Ekklesiologie der Volkskirche». Wie lange ist eine Kirche eine Volkskirche, wenn sie ständig Mitglieder verliert? Volkskirche sollte man qualitativ und nicht quantitativ definieren. Eine Volkskirche ist nicht nur innenbezogen, sondern auf die gesamte Gesellschaft. Sie verfügt über eine innere Vielfalt, die unterschiedliche Grade von Nähe und Distanz ermöglicht. In der Kirchenverfassung heisst es, dass die Kirche «allem Volk die Frohe Botschaft» verkündigen soll. Zwar ist nicht mehr «alles Volk» Mitglied, bleibt aber Adressat. Auch als Minderheit behalten wir die Gesellschaft im Blick. Wo steht die Volkskirche in zehn oder zwanzig Jahren? Ist sie mausetot? Oder wird sie eine Erweckung erleben, um diesen religionsgeschichtlichen Begriff zu verwenden? Vermutlich trifft weder das eine noch das andere ein. Die Vitalität einer Kirche ist übrigens nicht kausal mit einer bestimmten Organisationsform verknüpft. Es gibt sehr vitale staatsnahe Kirchen und verknöcherte Freikirchen – und umgekehrt. Schmerzhafte Transformationsprozesse wird es bestimmt geben. Aber die Kirche wird nicht untergehen, solange es Menschen gibt, die das Evangelium weitergeben und Gottesdienst feiern wollen. Im Haus der Kirche findet eine Reorganisation statt. Einen selbständigen Bereich Theologie wird es nicht mehr geben, auch keine Stabsstelle. Bekommt die Theologie in der neuen Struktur ausreichend Platz? Auch künftig wird es eine eigene Stelle geben, an der theologische Arbeit geleistet wird. Diese Stelle im neu formierten Fokus Kirche wird sogar prozentual aufgewertet. Die Theologie bekommt also auch in Zukunft einen wichtigen Platz. Sie haben Ihren Posten per Ende November verlassen. Welchen Rat gaben Sie dem Haus der Kirche mit auf den Weg? Ich gebe keine guten Ratschläge. Sehr wichtig ist mir ein Abschnitt in unseren Visionsleitsätzen: «auf Gottes Zukunft setzen». Es gibt zwar Gründe, sich zu sorgen, aber deswegen soll die Kirche nicht in blinden Aktionismus verfallen. Gefragt sind vielmehr Vertrauen auf den lebendigen Gott und eine getroste Gelassenheit. Die Zukunft der Kirche liegt zum Glück nicht in unserer Hand. Biografie Der 66-jährige, in Münsingen gebürtige Matthias Zeindler ist mit der Pfarrerin Andrea Figge Zeindler verheiratet. Das Paar hat zwei erwachsene Kinder. Bis zum Pensionsalter wirkte Zeindler als Titularprofessor für Systematische Theologie an der Universität Bern. Bei den gesamtkirchlichen Diensten im Haus der Kirche leitete er seit 2010 den Bereich Theologie. Ende November ist er mit einem Jahr Verzögerung in den Ruhestand getreten. Zeindler wird laut eigenen Aussagen weder in eine hektische Reisetätigkeit verfallen noch beliebig viele Verpflichtungen annehmen, sondern «im eigenen Tempo» und mit mehr Freiheit leben. Häufiger als bisher will der emeritierte Theologe Theateraufführungen und Konzerte besuchen. Neu erschienen Matthias Zeindler, Sich Gottes Einspruch gefallen lassen. Beiträge zur reformierten Theologie, Theologischer Verlag Zürich, 2024, 378 Seiten, Fr. 44.– * Co-Leiter Kommunikation
13 ENSEMBLE 2024/76 —– Fokus Matthias Zeindler a dirigé dès 2010 le secteur Théologie des services généraux de la Maison de l’Église. Il a aussi été titulaire de la chaire de théologie systématique de l’Université de Berne. Fin novembre, il a pris sa retraite, un an au-delà de l’âge officiel. Regard sur ses multiples engagements. Par Markus Dütschler* Vous n’avez pas uniquement évolué dans le milieu universitaire, vous avez aussi été pasteur à Gerlafingen et à Erlach. Comment devient-on pasteur de paroisse après avoir été professeur de théologie ? Matthias Zeindler: Dans mon cas, c’était plutôt l’inverse. J’ai toujours voulu être pasteur de paroisse. Je n’avais pas prévu de carrière universitaire. Après mon doctorat, j’ai travaillé quelques années en paroisse, puis j’ai ressenti le besoin de publier un nouvel ouvrage scientifique. J’ai obtenu mon habilitation et l’Université m’a confié une charge de cours en théologie systématique. Je n’ai jamais eu le sentiment que l’Université et le pastorat étaient antinomiques. La théologie académique m’a beaucoup aidé dans mes ministères. À Gerlafingen, le dimanche, je prêchais devant des métallurgistes. À Erlach, mes paroissiennes et mes paroissiens venaient surtout du monde agricole et commerçant. On m’a toujours dit que mon atout, c’était d’arriver à me faire comprendre facilement. À Erlach, vous partagiez votre ministère avec votre épouse. Comment relève-t-on un tel défi ? Les tâches étaient clairement séparées entre nous, pour que chacun puisse s’organiser à sa manière. Idem pour les tâches parentales – nous avons deux enfants –, les tâches domestiques et l’entretien du jardin. Et pour mon engagement à l’Université, je prenais sur mon temps libre. On entend souvent dire qu’un fossé sépare la noble théorie et la pratique concrète, qu’il vaut mieux tout oublier en sortant de la faculté. Mon domaine de la théologie systématique essaye d’actualiser le sens de la foi chrétienne, ce qui suppose d’être très en phase avec la vie. Je n’ai jamais ressenti le fossé dont vous parlez. J’ai toujours apprécié de donner des conférences dans des I N T E R V I EW « Une Église multitudiniste est riche d’une diversité intérieure » paroisses. Cela m’obligeait à exposer clairement même les sujets complexes. Mais un exposé, ce n’est pas une prédication, et une prédication, ce n’est pas un cours. Quelles sont les différences ? Quand on prêche, on ne va pas citer des commentaires bibliques à tout bout de champ, ni entrer dans l’analyse des sources et de leurs différences. Le théologien en moi essaye de traduire les thèmes bibliques dans la vie d’aujourd’hui. Une prédication peut être exigeante, mais elle doit rester compréhensible. Cependant, les prédications triviales qui ne font que répéter ce que disent les journaux sont tout aussi problématiques que les prédications incompréhensibles. On commence parfois des études de théologie en espérant approfondir sa foi. Et parfois, chemin faisant, on y perd toutes ses certitudes. Comment avez-vous vécu ce parcours ? Personnellement, ces études m’ont énormément aidé à approfondir ma foi, en particulier l’approche critique de la Bible et de l’Église. Bien sûr, les certitudes sont ébranlées, mais ce n’est pas un mal. Le psalmiste aussi a marché « dans la vallée de l’ombre », mais en sachant que Dieu ne l’abandonnait pas (Ps. 23). La Bible, dans sa diversité, témoigne de secousses et de doutes, mais ces mouvements font partie de la foi. Cette conviction m’a peut-être prémuni d’une crise spirituelle majeure. Franchement, je n’en ai jamais traversé. Un diplôme en théologie permet de viser toute sorte de métiers, un peu comme un diplôme en lettres. À quels postes inhabituels avez-vous rencontré des théologiennes ou des théologiens ? Spontanément, je pense à trois personnes qui ont été amenées à un moment de leur carrière à diriger un établissement pénitentiaire – Thorberg, Hindelbank et St-Jean. J’en ai aussi connu qui occupaient des postes à responsabilité, par exemple à la tête des ressources humaines chez Roche. Le nombre d’étudiantes et d’étudiants en théologie est en net recul. Pourtant, ces études débouchent sur un travail correctement rémunéré et relativement sûr. Quelle est votre explication ?
14 Fokus —– ENSEMBLE 2024/76 C’est indubitablement lié à la sécularisation et à la perte d’importance des Églises. Pour beaucoup, le pastorat n’est donc plus attrayant. En plus, les options de carrière sont limitées. Autrefois, le pasteur, l’instituteur, le médecin et le maire du village représentaient l’autorité. Aujourd’hui, la sociologie place les pasteures et les pasteurs parmi l’« élite déclassée ». Vous-même, comment avez-vous géré cette évolution ? Le titre de professeur donne un certain prestige (rires). Pendant les 14 années où je n’ai plus exercé le ministère, la situation a passablement changé, l’importance de l’Église n’a cessé de diminuer. En plus, le transfert de compétences en matière d’engagement du canton à l’Église a donné à beaucoup de collègues l’impression de déchoir. Mais force est de constater que le corps enseignant ou les blouses blanches ne jouissent plus non plus de leur prestige d’antan. Mais c’est tout de même dans le pastorat que l’évolution est la plus frappante. Comment inverser la tendance ? En nous concentrant davantage sur notre motivation intrinsèque, sur la mission de l’Église pour le dire en termes théologiques. Finalement, nous exerçons ce métier parce que Dieu veut que l’Évangile soit annoncé. C’est notre légitimation, quel que soit l’intérêt que la société y accorde. L’un de vos livres s’intitule La théologie au point zéro. Karl Barth et la crise de l’Église [en allemand]. Que nous apprend ce père du protestantisme du XXe siècle sur ce déclin ? Il y a plus d’un siècle, Barth voit déjà clairement que la position forte de l’Église dans la société repose sur des pieds d’argile. Il constate que la classe ouvrière s’éloigne de l’Église. Cet ancien pasteur devenu professeur de théologie reste assez imperturbable face à la sécularisation. Il a conscience qu’un christianisme sérieux ne peut être l’affaire que d’une minorité. J’ai appris à sa lecture à porter un regard généreux sur l’être humain. Tout le monde est accepté par Dieu qui ne s’arrête pas à notre conception de la foi. Avec cette vision, il est plus facile d’aller vers les autres. Les Églises nationales ont présenté au canton le bilan de leurs prestations d’intérêt général. En septembre, le Grand Conseil s’est dit impressionné par ce rapport et a décidé d’octroyer un financement pour ces six prochaines années. C’est une satisfaction pour les Églises nationales. Qu’en pensez-vous en tant que théologien ? Il est juste et important que la société et le monde politique prennent connaissance de ce rapport. Sans ce document, de nombreux membres du Grand Conseil ne sauraient pas tout ce que font les Églises. Toutefois, il n’est pas évident de séparer clairement ces prestations du domaine cultuel, car les deux facettes – culte dominical et activités du lundi au samedi – sont constitutives de l’Église. La confiance du grand public est intimement liée au noyau dur spirituel de l’Église. Une connaissance issue du monde de l’économie m’a justement dit qu’elle estimait que l’Église devait défendre des avis fondés théologiquement au sein de la sphère publique, qu’elle ne devait pas se limiter au social, ni devenir une ONG dont personne n’avait besoin. Je partage entièrement cet avis. Dans ce sens, je trouve tout à fait sensé que les objectifs de législature du Conseil synodal disent explicitement qu’il faut « évoquer Dieu ». Aujourd’hui, l’évidence tacite n’a plus rien d’évident. Beaucoup de gens, croyants ou non, attendent de l’Église qu’elle s’affiche clairement. Je sais que certains membres des partis bourgeois qui luttent pour le durcissement de la politique d’asile accueillent par ailleurs favorablement l’engagement des Églises en faveur de l’aide aux réfugiés, car pour eux, c’est la mission de l’Église que de tendre la main à celles et ceux qui souffrent. Aujourd’hui, l’œcuménisme est la norme. Les Églises ne risquent-elles pas d’y perdre une partie d’elles-mêmes ? Que veut dire être protestant ? Cette question, les réformés se la posent en permanence. Mais au fond, toutes les Églises se la posent. Jusqu’à quel point une Église doit-elle être identitaire et rester ouverte en tant qu’Église multitudiniste ? Comment approcher la population distancée et encourager les personnes engagées ? Ces tensions impliquent un mouvement de balancier permanent. L’œcuménisme est une précieuse conquête ; il fut un temps où protestants et catholiques ne voulaient rien avoir en commun. Toutefois, la situation a de nou- © Adrian Hauser Matthias Zeindler
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