11 ENSEMBLE 2024/76 —– Fokus Matthias Zeindler © zVg / Refbejuso ben. An welchen ungewöhnlichen Orten haben Sie Theologinnen und Theologen angetroffen? Spontan kommen mir drei Personen mit Theologiestudium in den Sinn, die im späteren Berufsleben eine Justizvollzugsanstalt geleitet haben, so im Thorberg, in Hindelbank oder in St. Johannsen. Man trifft andere in Chefetagen, wo sie für das HR zuständig sind, etwa beim Chemiekonzern Roche. Die Zahl der Studierenden in Theologie ist stark rückläufig. Und dies, obwohl einem ein anständig besoldetes Berufsleben in relativer Sicherheit winkt. Weshalb ist das so? Zweifellos hängt das mit der Säkularisierung und dem Bedeutungsverlust der Kirchen zusammen. Vielen erscheint eine solche Tätigkeit darum nicht mehr als attraktiv. Auch sind die Karrieremöglichkeiten begrenzt. Früher gaben der Pfarrer, der Lehrer, der Doktor und der Gemeindepräsident in einem Dorf den Ton an. Heute zählt die Soziologie Pfarrpersonen zur «deklassierten Elite». Wie sind Sie selbst mit diesem Bedeutungsverlust umgegangen? Eine gewisse Aufwertung bietet der Professorentitel (lacht). In den 14 Jahren, in denen ich nicht mehr im Pfarramt war, hat sich diesbezüglich einiges verändert, der Bedeutungsverlust der Kirche hat nochmals spürbar zugenommen. Auch den Wechsel bei der Anstellung von Pfarrpersonen vom Kanton zur Kirche haben manche Pfarrkolleginnen und -kollegen als Statusverlust empfunden. Wobei man ehrlicherweise sagen muss, dass auch Lehrpersonen oder die «Halbgötter in Weiss» nicht mehr das Renommee von einst geniessen. Bei den Pfarrpersonen ist es aber wohl am spürbarsten. Wie liesse sich das ändern? Wir sollten uns mehr auf eine intrinsische Motivation konzentrieren, auf das, was man theologisch als Auftrag der Kirche bezeichnet. Den Pfarrberuf üben wir letztlich aus, weil Gott will, dass das Evangelium verkündet wird. Das ist unsere Legitimation, egal für wie wichtig dies die Gesellschaft hält. Ein von Ihnen herausgegebenes Buch trägt den Titel «Theologie am Nullpunkt. Karl Barth und die Krise der Kirche». Was sagt uns der protestantische Kirchenvater des 20. Jahrhunderts zu diesem Bedeutungsverlust? Schon vor über einem Jahrhundert war Barth klar, dass die starke gesellschaftliche Stellung der Kirche auf tönernen Füssen ruht. Er erlebte mit, wie sich viele Arbeiter von der Kirche abwenden. Der Theologieprofessor und vormalige Gemeindepfarrer stand der Säkularisierung recht gelassen gegenüber. Ihm war bewusst, dass ernsthaftes Christentum stets die Sache einer Minderheit sein würde. Von Barth habe ich übrigens die grosszügige Sicht auf die Menschen gelernt. Alle sind von Gott angenommen, egal wie sie selbst sich zum Glauben stellen. Mit dieser Brille findet man leichter den Zugang zu allen Menschen. Die Landeskirchen haben gegenüber dem Kanton ihre «Leistungen im gemeingesellschaftlichen Interesse» dargelegt. Der Grosse Rat zeigte sich im September davon beeindruckt und beschloss für die nächsten sechs Jahre eine finanzielle Abgeltung. Das ist für die Landeskirchen eine Genugtuung. Wie kommentieren Sie das als Theologe? Es ist richtig und wichtig, dass Gesellschaft und Politik diesen Bericht zur Kenntnis nehmen. Gäbe es ihn nicht, wüssten manche im Grossen Rat nicht, was von den Kirchen alles geleistet wird. Allerdings ist es nicht einfach, diese Leistungen vom Kultischen klar zu trennen. Beides gehört zur Kirche: der Gemeindegottesdienst am Sonntag und die anderen Aktivitäten montags bis samstags. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Kirche hat viel mit ihrem geistlichen Kern zu tun. Interessanterweise hat sich ein Bekannter aus der Wirtschaft in einem persönlichen Gespräch in ähnlicher Weise geäussert: Er erwarte von der Kirche, dass sie in der Öffentlichkeit theologisch fundierte © zVg / Refbejuso
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