ENSEMBLE Nr. / N° 76 - Dezember / Décembre 2024

21 ENSEMBLE 2024/76 —– Fokus Sylviane Zulauf-Catalfamo NOTHILFE Für Jugendliche eine Sackgasse Danilo* und Alberto* sind beide 16 Jahre alt. Sie leben mit ihren Familien, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, in einem abgelegenen Zentrum in Bellelay. Sie sind in einer Lage, die es ihnen verunmöglicht, ihre Träume als Jugendliche zu verwirklichen: eine Lehre zu beginnen und in Würde zu leben. Von Nathalie Ogi Danilo würde gerne Zeichner mit Fachrichtung Architektur werden, während Alberto davon träumt, eine Lehre als Multimediaelektroniker zu absolvieren. Im Moment besuchen die beiden Heranwachsenden das Berufsvorbereitungsjahr in Moutier. Sie sind aber nicht berechtigt, eine Lehre zu beginnen. Diese Situation wurde kürzlich von der Eidgenössischen Migrationskommission (EKM) bemängelt, welche die Schweiz in Bezug auf die Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen, die Nothilfe empfangen, in die Pflicht nahm. Im Bericht ist die Rede von der grossen Unsicherheit und der erheblichen seelischen Belastung, denen die Jugendlichen ausgesetzt sind und die deren Entwicklung manchmal beeinträchtigen. Ein im Rahmen der Untersuchung erstelltes Rechtsgutachten findet klare Worte: Das NothilfeRegime verletzt das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes und die verfassungsrechtlichen Bestimmungen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen. In der Schweiz leben um die 700 Kinder und Jugendliche in Nothilfe-Strukturen. Die EKM fordert, den Zugang der Kinder und Jugendlichen zur Schule und zur Berufsausbildung zu verbessern. Das Rückkehrzentrum, in dem sich Danilo und Alberto aufhalten, befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen Spitals Bellelay, weit weg von allem. «Hier ist nichts los», erzählt Danilo. Alberto seinerseits beklagt den Umstand, dass nach 18 Uhr keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr zirkulieren, was es ihm verunmöglicht, vom Fussballtraining zurückzukehren. Ein No Man’s Land «Gegenwärtig leben fünf Familien mit ihren insgesamt 13 Kindern in diesem No Man’s Land», berichtet Sylviane Zulauf-Catalfamo, Präsidentin der Migrationskommission des französischsprachigen Bezirks der Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn und Mitglied des Bieler Vereins «Alle Menschen – Tous les êtres humains», der sich für die aufenthaltsrechtliche Regularisierung von abgewiesenen Asylbewerberinnen und -bewerbern D * Namen der Redaktion bekannt einsetzt. «Dieses Zentrum ist eine Sackgasse. Oft können Familien – wegen fehlender Identitätsausweise oder weil das Herkunftsland Zwangsrückführungen nicht akzeptiert – nicht in ihre Heimat zurückkehren. Man parkiert sie gleichsam hier, mit 10 Franken pro Tag, um Nahrung, Telefon, Freizeit und Transporte zu bezahlen», bemängelt Sylviane Zulauf. Danilo stammt aus einer Gemeinschaft von Roma. Er wurde in Serbien geboren und ist staatenlos, das Asylgesuch seiner Mutter wurde vor zwei Jahren abgelehnt. Alberto wurde im Kongo geboren und lebte anschliessend in Angola. Seine Mutter musste das Land aus Sicherheitsgründen verlassen: Sie arbeitete für eine Partei der Regierungsopposition. Ihr Asylgesuch wurde vor einem Jahr abgelehnt. Ideal wäre es, wenn ihre Familien die Aufenthaltsbewilligung B aus humanitären Gründen erhalten könnten. «Aber der Kanton Bern ist in diesem Punkt sehr restriktiv», hält die Bielerin fest. «Man müsste die Asylgesetzgebung und das Ausländer- und Integrationsgesetz überarbeiten und die Situation dieser Familien von Fall zu Fall neu beurteilen, besonders bezüglich der Jugendlichen, die alles daran setzen, sich zu integrieren.» Bis es soweit ist, müssen die zwei Heranwachsenden weiterhin auf der Bremse stehen und sich gedulden. Alberto hat den Glauben nicht verloren. Seine schulischen Leistungen sind gut und ein Unternehmen aus der Region wäre bereit, ihn als Lehrling aufzunehmen. Der Chef schätzte seine Motivation und seinen Einsatz während eines Praktikums. Möchte er in unserem Land bleiben können? «Natürlich möchte ich das – niemand will die Schweiz verlassen», sagt Alberto. alle-menschen.ch Postkonto 15-452576-2 IBAN: CH13 0900 0000 1545 2576 2, Alle Menschen / Tous les humains c/o Philipp Blum, Fabrikgässli 1, 2502 Biel/Bienne © Nathalie Ogi

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