25 ENSEMBLE 2024/76 —– Fokus fängt. Beide tun sich sehr schwer damit, dass sie nicht arbeiten dürfen. Das System zwingt sie dazu, von der Asylsozialhilfe zu leben, die tiefer ist als die Sozialhilfe für Personen mit einem Schweizer Pass. Immerhin können sie sich freiwillig betätigen. Das bessert zwar ihre knappe Kasse nicht auf, doch es gibt eine Tagesstruktur und noch wichtiger: Kontakte zur hiesigen Bevölkerung. Solche freiwilligen Arbeitseinsätze beispielsweise im Schlossgarten (Wohnheim für Menschen mit Behinderung) oder im Riggishof (Altersheim) werden gegenwärtig von der Kollektivunterkunft administrativ und von der Freiwilligengruppe «Gurnigelasyl» operativ begleitet. «Gurnigelasyl» entstand aus den beiden vorangehenden Freiwilligengruppen «Riggi-Asyl», initiiert und geleitet durch das langjährige Engagement für Asylsuchende von Pfarrer Daniel Winkler der Kirchgemeinde Riggisberg, und dem Verein «offenes Scherli», initiiert und viele Jahre geleitet durch Jürg Schneider. Beide Gründer sind die treibenden Kräfte und Inspiratoren von «Gurnigelasyl». Marianne Windler koordiniert die Freiwilligen, die sich um die Asylsuchenden im Gurnigelbad kümmern. «Ich schätze die Lebenssituation der Asylsuchenden als herausfordernd bis überfordernd ein», sagt Marianne Windler. «Die Tatsache, dass die Geflüchteten in hoher Anzahl, dicht, fast ausschliesslich unter sich und fernab von der Zivilisation wohnen, erschwert die soziale und kulturelle Durchmischung sowie die Integration enorm», führt Marianne Windler weiter aus. In den Zimmern herrsche zudem «Dichtestress», da sich sechs bis acht Personen einen Schlafraum teilen müssten. Um so wichtiger seien in dieser Situation jene Bewohnenden des Gurnigelbads, die über «beachtliche» Resilienzkräfte, Empathie und Hilfsbereitschaft verfügten, um Neuankömmlinge zu beraten und zu unterstützen. Eine neue Seite aufschlagen Dazu zählen bestimmt auch die beiden Männer aus der Türkei. Aufgeben kommt für sie nicht in Frage. Denn sie haben noch etwas vor mit ihrem Leben. Beide möchten möglichst schnell arbeiten und sich integrieren. Dies auch, um ihre Frauen und Kinder in die Schweiz holen zu können. Dafür lernen sie auch eifrig Deutsch, denn sie haben erkannt, dass die Kommunikationsfähigkeit wie eine goldene Brücke zu den Menschen und ins gesellschaftliche Leben führt. Als besonders hilfreich erleben dabei die beiden das Engagement der freiwilligen Lehrpersonen im Gurnigelbad und von «Deutsch integral» in Bern. Gleichzeitig mit dem Spracherwerb stellen sie die ersten Weichen für eine mögliche spätere berufliche Tätigkeit. Der eine hat sich in der Türkei zeitweise als Fahrlehrer betätigt, nachdem er aus politischen Gründen seinen gut bezahlten Job verloren hatte, und bestand kürzlich gerade die Autoprüfung. Der andere war Softwareentwickler und möchte daran anknüpfen, wozu er sich ein Laptop organisiert hat, um später ein Praktikum auf diesem Gebiet machen zu können. Ermöglicht haben dies Spenden von «Riggi-Asyl» und «offenes Scherli». Und für die beiden steht fest: Der Aufenthalt hier kann nur ein weiteres Kapitel in ihrem Leben sein. «Wir haben eine Verantwortung gegenüber unseren Familien», sind sich die beiden einig. «Wir wollen so bald wie möglich eine neue Seite aufschlagen.» Der Glanz früherer Zeiten ist verblasst: Asylunterkunft Gurnigelbad. La splendeur d’autrefois a pâli : centre d’asile de Gurnigelbad. © Adrian Hauser
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