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ENSEMBLE 2016/5 —– Dossier
Was hat sich bei den Ausbildungen verändert?
Welchen Hintergrund hatten die Beratenden früher
und welchen heute?
Ursprünglich war es ja üblich, dass man beim
Pfarrhaus anklopfte, wenn man Hilfe gesucht hat.
Das kann man natürlich immer noch. Als man die
kirchlichen Beratungsstellen regional aufzubauen
und zu koordinieren begann, kam der Anspruch
nach einer Professionalisierung. Alle unsere
Beratenden haben eine theologische, eine psycho-
logische oder eine sozialarbeiterische Grundaus-
bildung sowie eine paartherapeutische Zusatzausbildung.
Welche Bereiche decken die Beratungen denn ab?
Gibt es auch Lücken?
Es sind eigentlich zwei Schienen. Zum einen
haben wir die psychologisch-therapeutische
Schiene, wo die Betroffenen in Beziehungsfragen
beraten werden. Die andere Schiene ist die recht-
liche Beratung. Dazu haben wir hier in Bern bei
den gesamtkirchlichen Diensten eine juristische
Fachperson, die das Angebot der regionalen Be-
ratungsstellen rechtlich ergänzt. Mit diesen bei-
den Bereichen kann man schon sehr viel ab
decken.
Also bis hin zum Entwurf einer Scheidungs
konvention ...
Nur, wenn sie mit dem Paar gemeinsam erar-
beitet wird und im gegenseitigen Einverständnis
zustande kommt. Unsere Juristin und Beauftragte
«Ehe Partnerschaft Familie» nimmt keine anwalt-
schaftlichen Handlungen vor. Hier ist eigentlich
die Grenze.
Wie hat sich das Bedürfnis der Betroffenen in den
letzten Jahren entwickelt?
Ich denke, heute geht man anders oder geziel-
ter auf die verschiedenen Anliegen der Ratsuchen-
den ein, als das früher üblich war. Dies auch, weil
es heute komplexer geworden ist.
Was ist komplexer geworden?
Die Gesellschaft ist komplexer geworden.
Das klassische Familienbild wurde aufgesprengt.
Man ist heute im Hinblick auf Geschlechterunter-
schiede und individuelle Bedürfnisse viel sensibler.
Generell haben wir es nach wie vor mit vielfältigen
Beziehungsfragen zu tun, wobei Kommunikation
in Paarbeziehungen und Konflikte im Paar- und
Familienalltag im Vordergrund stehen.
Dürfen denn beispielsweise auch gleichgeschlecht-
liche Paare in eine solche Beratung kommen?
Ja, natürlich. Immer dann, wenn es um Bezie-
hungen geht, sind wir die richtige Anlaufstelle. Es
können auch Generationensysteme kommen, also
Eltern mit Kindern oder Grosseltern mit Enkeln.
Die Beziehung muss nicht immer auf der Ebene
«Mann–Frau» sein. In allen Beziehungssystemen
können Probleme auftauchen.
Wie werden die Beratungsstellen finanziert?
Der Kanton ist gesetzlich dazu verpflichtet,
Eheberatungen anzubieten, und leistet folglich
einen finanziellen Beitrag. 22 Prozent der Kosten
sind über Leistungsvereinbarungen mit dem Kan-
ton abgedeckt und der Synodalverband leistet
einen Beitrag. Die restlichen Kosten werden einer-
seits von den kirchlichen Bezirken getragen, an-
dererseits durch freiwillige Beiträge und Spenden.
Die Betroffenen, die in die Beratung kommen,
leisten nach ihren Möglichkeiten einen freiwilli-
gen Beitrag. Bei den Trägerschaften der regionalen
Beratungsstellen wird von engagierten Kirchen-
mitgliedern zudem viel ehrenamtliche Arbeit ge-
leistet, die der Synodalrat herzlich verdankt! Die
Beauftragte «Ehe Partnerschaft Familie» bei den
gesamtkirchlichen Diensten in Bern koordiniert
und unterstützt die regionalen Trägerschaften wie
auch die Beratenden vor Ort. Hinzu kommt die
juristische Beratung. Damit leisten die Reformier-
©Rolf Siegenthaler
Claudia Hubacher