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Dossier —– ENSEMBLE 2016/6
Der Theologe Prof. Dr. Fulbert Steffensky
hat Jahrgang 1933 und kann auf ein reich-
haltiges und bewegtes Leben zurückblicken.
Das Alter hat ihn gelassener sich selbst
gegenüber gemacht, und er hat das grosse
Glück, gebraucht zu werden.
Von Adrian Hauser
«Ich komme aus einer Welt, in der man das Wort
Glück nicht kannte», sagte Prof. Dr. Fulbert Stef-
fensky einst an einem Vortrag im deutschen
Baden. Und: «Das Unglück kannte man wohl. Un-
glück hiess: Nicht genug Brot zu haben, gegen
Wind und Wetter nicht geschützt zu sein, der
Härte der Natur unterworfen zu sein, eingesperrt
zu sein in die quälende Langsamkeit jener Zeit
(...).» Fulbert Steffensky ist zusammen mit vier Ge-
schwistern im katholischen Saarland aufgewach-
sen, eine Welt, in der Traditionen einen hohen
Stellenwert hatten. «Es war ein geläufiges Leben,
in dem es keinen Zweifel gab», erzählt der 82-Jäh-
rige, der heute mit seiner zweiten Frau in Luzern
lebt. Auch die Evakuierung des Grenzgebietes bei
Frankreich von 1939 vermochte die eingesessenen
Traditionen nicht zu durchbrechen. Als man nach
einem Jahr wieder zurück ins Saarland kam, mach-
te man einfach dort weiter, wo man aufgehört
hatte: «Die Öffentlichkeit war unser Diktat.»
Erlaubter Ausstieg
Nach dem Abitur in einem katholischen Internat
studierte Fulbert Steffensky Theologie und trat
1956 bei den Benediktinern in Maria Laach ein.
«Weil es damals noch keine Hippies gab», ent-
gegnet er schmunzelnd auf die Frage, was ihn
zum Eintritt ins Kloster bewogen habe. Für ihn
war dies ein erlaubter Ausstieg, um der Welt des
Wirtschaftswunders zu entkommen. Am Kloster-
leben schätzte er die Kargheit und die Gemein-
schaft. Dennoch trat er später aus dem Kloster
aus. Man schrieb das Jahr 1968, eine Zeit, in der
eine ganze Generation politisiert wurde. Man
wollte die deutsche Kriegsgeschichte nicht mehr
wie bis anhin verschweigen, sondern aufarbeiten.
Zudem entstand am 82. Deutschen Katholikentag
das erste politische Nachtgebet einer ökumeni-
schen Gruppe um Fulbert Steffensky, die protes-
tantische Theologin Dorothee Sölle und den
Schriftsteller Heinrich Böll. Mit dem politischen
Nachtgebet sollte die Theologie zu aktuellen
politischen Themen Stellung beziehen. Steffens-
kys Beweggründe, aus dem Kloster auszutreten,
waren denn vor allem politischer Natur. Mitge-
spielt habe auch, dass er seine spätere Frau,
Dorothee Sölle, kennengelernt hatte, aber das sei
nicht der Hauptgrund gewesen.
Unerlaubter Ausstieg
Der – unerlaubte – Ausstieg aus dem Kloster hatte
eine Exkommunizierung zur Folge und Steffensky
konvertierte zum Protestantismus. Dies sei wie ein
Umzug von München nach Berlin: «Man verliert
eine alte Heimat und kommt nie ganz an.» So sei
er mit dem Kopf Protestant und mit dem Herzen
Katholik. Die evangelische Theologie empfindet
er als klarer, freier, und: «Es gibt keine Bischöfe,
die mir diktieren, was ich denken soll.» Der Katho-
lizismus sei hingegen spiritueller, es herrsche aber
auch ein Einheitsdiktat. Beide Religionen sollen
seiner Meinung nach ihren «Stallgeruch» behal-
ten.
Der bekannte Buchautor, Theologe und Pro-
fessor ist noch heute sehr aktiv – hält Vorträge,
schreibt und predigt. Das Alter habe ihn zweifeln
der, wortschwacher, aber auch gelassener sich
selbst gegenüber gemacht. So habe er heute den
Mut, «als Fragment zu sterben», und verspüre
nicht mehr den Drang, sich selbst zu vollenden.
Oder um es mit einem bekannten deutschen Volk-
slied auszudrücken: «Geschlagen ziehen wir nach
Haus, unsere Enkel fechtens besser aus.» Dennoch
hat Fulbert Steffensky immer noch das grosse
Glück, gebraucht zu werden: «Von meiner Frau,
meinen Kindern, meinen Enkeln und meiner
Arbeit.»
P O R T R Ä T
Mut, als Fragment zu sterben
©Natalie Boo
Fulbert Steffensky
zu Hause in Luzern.
Fulbert Steffensky,
chez lui à Lucerne.