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ENSEMBLE 2016/6 —– Fokus

Es geht darum, für die nächsten Jahre zu fra-

gen, was aus dem ganzen Evangelium, aus dieser

grossen Vision heraus, jener Punkt ist, der für uns

als Kirche zurzeit wichtig ist. An den Konferenzen

habe ich immer wieder gesagt, dass es darum

geht, die Vision zu finden und nicht zu erfinden.

Man findet etwas, das bereits vorhanden ist. Neh-

men wir als Vergleich dazu die Reformation, die

zurzeit ja sehr aktuell ist. Die Reformation hat neu

entdeckt, dass der Mensch einen Wert hat. Dies

nicht aus sich selbst heraus, sondern der Wert wird

ihm in der Annahme durch Gott gegeben. Das ist

etwas, das Luther für sich als Person neu entdeckt

und das eine ganze Revolution ausgelöst hat. Die

Zeit war damals reif dafür. So gab es immer wieder

Zeiten, in denen die Menschen einen Schwerpunkt

aus dem Evangelium herauskristallisiert haben.

Eigentlich war er schon immer da, doch er wurde

vergessen oder man hat seine Aktualität gerade

nicht gespürt. Damit wurde der Rest des Evange-

liums nicht in Frage gestellt.

Sind denn die jetzige Identität und die Strukturen

veraltet?

Ich zögere mit einer Antwort. Weil wir den

Prozess ja nicht steuern wollen. Aber ich bin bei­

spielsweise überzeugt, dass der Gottesdienst er-

neuert werden muss.

Wie könnte er erneuert werden?

Ich verspreche mir etwas von Zielgruppengot-

tesdiensten, bei denen bewusst eine bestimmte

Bevölkerungsschicht angesprochen wird. Wir ha-

ben das in meiner früheren Gemeinde einmal

ausgerechnet: Wir können einen vielfältigen Got-

tesdienst am Sonntagmorgen anbieten und es

kommen 200 Leute. Aber wir können am Samstag-

abend etwas für die Jungen anbieten, am Sonn-

tagmorgen etwas Traditionelles und am Sonntag-

nachmittag etwas Familienorientiertes. Dann

erreichen wir 300 bis 400 Leute am gleichen Wo-

chenende.

Es kam also eine grosse Zahl an Fragen zusammen.

Wie geht es nun weiter?

Wir haben eine Expertengruppe eingesetzt.

Das sind Leute aus dem Haus der Kirche und ex-

terne Fachleute, die sich mit statistischen Auswer-

tungen auskennen. Die haben vorerst einmal die

Methode geklärt, nach der die Erhebung stattfin-

den soll. Es wird sehr wissenschaftlich vorgegan-

gen und am Schluss werden wir eine wissenschaft-

liche Auswertung haben. Die Expertengruppe soll

uns die 10 bis 15 relevantesten Themen aus den

Fragen herauskristallisieren. Sie soll die Themen

beschreiben und uns dazu Musterfragen geben.

So, dass wir an der Gesprächssynode vom 17. Au-

gust in Gruppen daran arbeiten können.

Ist ein solcher Visionsprozess eine reformierte

Tradition?

Ich bin überzeugt, dass zutiefst reformiert ist,

was wir machen. Beim Entwerfen des Prozesses

habe ich realisiert, dass der Abschluss ins Jahr 2017,

also ins Reformationsjubiläum, fallen kann. Da

wurde mir klar, dass wir alles daran setzen müs-

sen, es in dieser kurzen Zeit zu schaffen.

Im Jahr 2017 ist es virulent, eine reformierte

Kirche zu sein und das Ergebnis eines Reformpro-

zesses zu haben.

Ich möchte noch kurz über das Schlussfest reden.

Das wurde in der Synode ja heftig diskutiert und

schlussendlich abgeschmettert. Wie nehmen Sie

dazu Stellung?

Ich empfand es nicht als ein Abschmettern,

sondern man hat das Schlussfest neu modifiziert.

Es wurden ja auch klare Vorgaben gemacht: Nicht

20 000 Teilnehmende sollen das Ziel sein, sondern

10 000, und es soll etwas Zentrales sein. Die Finan-

zen hat man eigentlich nicht so heftig diskutiert.

Die Diskussion war teilweise hochemotional, denn

es ging den Leuten um etwas Wesentliches. Ich

habe schon bedauert, dass man etwas kleingläu-

big war, indem man sich keinen Grossanlass zu-

getraut hat. Wir haben am Schluss ja eine Vision

und die soll nicht in der Schublade verschwinden.

Wir haben uns überlegt, wie man eine Vision in

einer grossen Kirche mit 600 000 Mitgliedern, mit

200 Kirchgemeinden und 500 Pfarrämtern veran-

kern kann. Da kann man nicht einfach ein Brief-

lein schicken, sondern es braucht starke Mittel.

Deshalb kamen wir auf diesen Grossanlass.

©Michael Stahl

Iwan Schulthess