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Fokus —– ENSEMBLE 2016/9
Das «Nebelmeer» ist eine Selbsthilfegruppe
für Menschen, die einen Elternteil durch
Suizid verloren haben. Es gibt Gruppen in
Bern und Zürich, in Biel ist zurzeit eine
zweisprachige im Aufbau. Die Leiterin der
Gruppe in Bern erklärt, wie den Betroffenen
geholfen werden kann.
Von Ruth E. Kohli*
Ein Suizid ist eine Zäsur im Leben der Angehöri-
gen, ganz besonders wenn es einen Elternteil be-
trifft und somit Kinder oder Jugendliche betroffen
sind. Nicht immer kann dieser massive Einschnitt
umgehend verarbeitet werden. Dies ist mit ein
Grund, warum die Gruppe in Bern einen grossen
Bogen aufspannt: Die einen kommen wenige Wo-
chen oder Monate nach dem tragischen Tod, an-
dere berichten, dass das Ereignis mehrere Jahre
zurückliegt. Manchmal sind es Lebensabschnitts-
übergänge wie Abschluss einer Ausbildung, Um-
zug, die Geburt eines Kindes oder die eigene Be-
findlichkeit, die den Anlass für den Eintritt in die
Gruppe geben. Einige erfahren durch die Medien
von der Gruppe, andere suchen aktiv im Netz nach
Unterstützung.
Gegenseitiges Verständnis
Die Gruppe in Bern trifft sich am ersten Montag-
abend des Monats im Selbsthilfezentrum (SHZ)
Bern. Nach einem Schnupperbesuch entscheiden
sich die Interessenten für einen Eintritt oder eine
Absage. Danach ist das Dabeisein insofern ver-
bindlich, dass man entweder am Treffen teilnimmt
oder sich zuverlässig abmeldet. Auch ein bewuss-
tes Abschiednehmen beim Austritt der Gruppe
gehört dazu.
Wenn die Gruppe nicht gerade ein bestimmtes
Thema bearbeiten möchte, steht der Austausch
SICH
GEGENSEITIG
STÜTZEN
DAS NEBELMEER IM KANTON BERN
SE SOUTENIR
MUTUELLEMENT
LES GROUPES D’ENTRAIDE «NEBELMEER»
im Vordergrund. Themen können die Gestaltung
von Jahres- und Todestagen, die Veränderungen
innerhalb der Familie und des Freundeskreises
durch den Suizid oder die Art und Weise der In-
formationen der Todesart nach aussen sein. Immer
wieder ist zu hören, dass sich sehr schnell ein ge-
genseitiges Verständnis, eine Verbindung ein-
stellt. Ein Mitglied der Gruppe beschreibt es so:
«Das Nebelmeer ermöglicht mir den Austausch
mit Gleichgesinnten. Da es sich um Teilnehmende
handelt, welche dasselbe wie ich erlebt haben,
erhalten die Gespräche eine grossartige Qualität
und eine Tiefe, welche ich selten bisher erlebt ha-
be. Obwohl die eigenen Aussagen nicht immer in
Perfektion formuliert sind, treffen sie auf Verständ-
nis und nickende Gesichter. Weil die anderen es
dennoch nachfühlen können, was ich damit sagen
möchte. – Das Nebelmeer gibt mir ein Gefühl von
Verständnis. Ein Verständnis, welches mir ermög-
licht auch Geduld mit mir selbst zu haben. Es gibt
mir ein Gefühl, dass wir nicht alleine sind. – Ne-
belmeer ist nicht nur verstehen, es ist mitfühlen.»
Auch für Französischsprachige
Die Gruppe Bern mit zurzeit rund 13 aktiven Teil-
nehmenden hat sich im Laufe des letzten Jahres
stark erweitert. Durch das wiederholte Vorstellen
der eigenen Geschichte stellten einige allein da-
durch eine Integration ihrer eigenen schweren
Erlebnisse fest. Neben den Treffen im SHZ Bern
gibt es Sonderanlässe wie die jährliche Retraite in
Montmirail mit den Gruppen Zürich und Biel zu-
sammen, Schlittschuhlaufen auf dem Bundes-
platz, das Lichtschauspiel beim Bundeshaus, ein
Besuch im Solbad und viele mehr. Ausser bei der
Retraite steht dabei das Zusammensein im Vorder-
grund, meist ohne einen thematischen Schwer-
punkt.
Seit zwei Jahren ist in Biel eine deutsch-fran-
zösische Nebelmeergruppe unter Pfarrerin Eva Joss
im Aufbau. Ziel ist ein entsprechendes Angebot
auch für französischsprechende Betroffene.
* Fachpsychologin für Psychotherapie FSP,
Leiterin Gruppe Nebelmeer Bern,
www.nebelmeer.net