Previous Page  14 / 32 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 14 / 32 Next Page
Page Background

14

Dossier —– ENSEMBLE 2016/9

Andreas Nufer ist Pfarrer an der Heiliggeist-

kirche in Bern. Er engagiert und exponiert

sich seit über 20 Jahren unermüdlich für

Asylsuchende und Flüchtlinge. Für ihn ist das

nichts weniger als eine biblische Tradition.

Von Adrian Hauser

Für Andreas Nufer ist Spiritualität direkt mit sei-

nem politischen Engagement verknüpft. Was ihn

antreibt sind die Ungerechtigkeiten, die Flücht-

linge erleben mussten, und das gleichzeitige Stre-

ben, ihnen Gerechtigkeit zu verschaffen. Er orien-

tiert sich dabei an der Befreiungstheologie, die

ihren Ursprung in Lateinamerika hat und sich als

Stimme der Armen und Unterdrückten versteht.

Auch Andreas Nufers persönliche Politisierung

hängt mit Lateinamerika zusammen. Im Rahmen

eines Austauschprogramms war er während fünf

Jahren als Pfarrer in einem brasilianischen Armen-

viertel tätig. «Als ich zurückgekommen bin, wusste

ich, dass ich mich für Nord-Süd-Themen engagie-

ren will», sagt Andreas Nufer. Politisch interessiert

sei er zwar schon immer gewesen – dies nicht

zuletzt auch durch sein Elternhaus in Kloten, wo

Politik immer wieder ein Thema war. Das Enga-

gement für Flüchtlinge und Asylsuchende liegt

für ihn als Theologe auf der Hand. «Vom Exodus

bis zu Josef und Maria gibt es Dutzende von Mig-

rationsgeschichten in der Bibel», erklärt Andreas

Nufer. Schliesslich gehört diese Personengruppe

zu den Schwächsten und Ärmsten unserer Gesell-

schaft, die Zuwendung brauchen, weil sich ihnen

sonst kaum jemand zuwendet – schon gar nicht

die «rechtspopulistische Symbolpolitik».

Reichhaltiges Engagement

So gross Andreas Nufers innere Kraft und Überzeu-

gung für das Thema ist, so reichhaltig ist auch die

Liste der Aktivitäten. Vor und nach seinem Auf-

enthalt in Brasilien war er Pfarrer in der ökume-

nischen Gemeinde Halden, einem Quartier von

St. Gallen. Eine Wende im Asylwesen markierte

das Jahr 2004, als die Sozialhilfegelder für abge-

wiesene Asylsuchende gestoppt wurden. Viele

dieser Asylbewerber standen darauf auf der Stras-

se. Das veranlasste Andreas Nufer zur Gründung

des «Solidaritätsnetzes Ostschweiz». Eine Idee, die

offenbar den Zeitgeist traf: Nach 14 Tagen hatten

sich bereits 300 Mitglieder angemeldet, heute

zählt die Organisation über 1300 Mitglieder. Das

Solidaritätsnetz berät und unterstützt die Asyl­

suchenden, bietet Mittagstische und kostenlose

Sprachkurse.

Andreas Nufer exponierte sich mit dem Thema

immer wieder in den Medien, war Mitbegründer

des Sozial- und Umweltforums Ostschweiz (Sufo)

und ist seit 12 Jahren im Vorstand der Erklärung

von Bern. Kürzlich fiel er auch als Mitverfasser der

Migrationscharta auf. Eine Gruppe von katho­

lischen und reformierten Theologen sowie ander-

weitig Engagierte stellten darin im Wesentlichen

drei provokante Forderungen auf: freie Niederlas-

sung für alle, das Recht auf Asyl und das Recht auf

Sicherung der Existenz. Alles Forderungen, die aus

theologischen Gründen entstanden. Zum freien

Niederlassungsrecht meint Andreas Nufer etwa:

«Staaten kommen und gehen, die Menschen aber

bleiben.» Auch die Charta löste etwas aus: Rund

1000 Personen haben sie bereits unterzeichnet, an

die zugehörige Tagung kamen 300 Personen und

an die daran anschliessenden Workshops sogar

1000. Doch auch als Pfarrer an der Heiliggeist­

kirche und als einer der Projektleiter der offenen

Kirche ist Andreas Nufer politisch aktiv: Regelmäs-

sig organisiert er Gesprächsrunden, Ausstellungen

oder politische Andachten zum Thema.

Dass sich die Kirche in solche Themen ein-

mischt, ist für Andreas Nufer eine Notwendigkeit:

«Wir müssen Stellung beziehen, wenn wir aktuell

und relevant bleiben wollen.»

P O R T R Ä T A N D R E A S N U F E R

Aktuell und relevant bleiben

Politische

Spiritualität:

Andreas Nufer.

Spiritualité

politique:

Andreas Nufer.

©Adrian Hauser