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Dossier —– ENSEMBLE 2016/9
Andreas Nufer ist Pfarrer an der Heiliggeist-
kirche in Bern. Er engagiert und exponiert
sich seit über 20 Jahren unermüdlich für
Asylsuchende und Flüchtlinge. Für ihn ist das
nichts weniger als eine biblische Tradition.
Von Adrian Hauser
Für Andreas Nufer ist Spiritualität direkt mit sei-
nem politischen Engagement verknüpft. Was ihn
antreibt sind die Ungerechtigkeiten, die Flücht-
linge erleben mussten, und das gleichzeitige Stre-
ben, ihnen Gerechtigkeit zu verschaffen. Er orien-
tiert sich dabei an der Befreiungstheologie, die
ihren Ursprung in Lateinamerika hat und sich als
Stimme der Armen und Unterdrückten versteht.
Auch Andreas Nufers persönliche Politisierung
hängt mit Lateinamerika zusammen. Im Rahmen
eines Austauschprogramms war er während fünf
Jahren als Pfarrer in einem brasilianischen Armen-
viertel tätig. «Als ich zurückgekommen bin, wusste
ich, dass ich mich für Nord-Süd-Themen engagie-
ren will», sagt Andreas Nufer. Politisch interessiert
sei er zwar schon immer gewesen – dies nicht
zuletzt auch durch sein Elternhaus in Kloten, wo
Politik immer wieder ein Thema war. Das Enga-
gement für Flüchtlinge und Asylsuchende liegt
für ihn als Theologe auf der Hand. «Vom Exodus
bis zu Josef und Maria gibt es Dutzende von Mig-
rationsgeschichten in der Bibel», erklärt Andreas
Nufer. Schliesslich gehört diese Personengruppe
zu den Schwächsten und Ärmsten unserer Gesell-
schaft, die Zuwendung brauchen, weil sich ihnen
sonst kaum jemand zuwendet – schon gar nicht
die «rechtspopulistische Symbolpolitik».
Reichhaltiges Engagement
So gross Andreas Nufers innere Kraft und Überzeu-
gung für das Thema ist, so reichhaltig ist auch die
Liste der Aktivitäten. Vor und nach seinem Auf-
enthalt in Brasilien war er Pfarrer in der ökume-
nischen Gemeinde Halden, einem Quartier von
St. Gallen. Eine Wende im Asylwesen markierte
das Jahr 2004, als die Sozialhilfegelder für abge-
wiesene Asylsuchende gestoppt wurden. Viele
dieser Asylbewerber standen darauf auf der Stras-
se. Das veranlasste Andreas Nufer zur Gründung
des «Solidaritätsnetzes Ostschweiz». Eine Idee, die
offenbar den Zeitgeist traf: Nach 14 Tagen hatten
sich bereits 300 Mitglieder angemeldet, heute
zählt die Organisation über 1300 Mitglieder. Das
Solidaritätsnetz berät und unterstützt die Asyl
suchenden, bietet Mittagstische und kostenlose
Sprachkurse.
Andreas Nufer exponierte sich mit dem Thema
immer wieder in den Medien, war Mitbegründer
des Sozial- und Umweltforums Ostschweiz (Sufo)
und ist seit 12 Jahren im Vorstand der Erklärung
von Bern. Kürzlich fiel er auch als Mitverfasser der
Migrationscharta auf. Eine Gruppe von katho
lischen und reformierten Theologen sowie ander-
weitig Engagierte stellten darin im Wesentlichen
drei provokante Forderungen auf: freie Niederlas-
sung für alle, das Recht auf Asyl und das Recht auf
Sicherung der Existenz. Alles Forderungen, die aus
theologischen Gründen entstanden. Zum freien
Niederlassungsrecht meint Andreas Nufer etwa:
«Staaten kommen und gehen, die Menschen aber
bleiben.» Auch die Charta löste etwas aus: Rund
1000 Personen haben sie bereits unterzeichnet, an
die zugehörige Tagung kamen 300 Personen und
an die daran anschliessenden Workshops sogar
1000. Doch auch als Pfarrer an der Heiliggeist
kirche und als einer der Projektleiter der offenen
Kirche ist Andreas Nufer politisch aktiv: Regelmäs-
sig organisiert er Gesprächsrunden, Ausstellungen
oder politische Andachten zum Thema.
Dass sich die Kirche in solche Themen ein-
mischt, ist für Andreas Nufer eine Notwendigkeit:
«Wir müssen Stellung beziehen, wenn wir aktuell
und relevant bleiben wollen.»
P O R T R Ä T A N D R E A S N U F E R
Aktuell und relevant bleiben
Politische
Spiritualität:
Andreas Nufer.
Spiritualité
politique:
Andreas Nufer.
©Adrian Hauser