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ENSEMBLE 2016/9 —– Dossier

dung. Man hat aber keinen Schein, mit dem man

alle Kompetenzen nachweisen kann. Viele Pfarr-

personen leiden zudem unter der Situation, dass

ihre Ausbildung nicht anschlussfähig ist. Wir sind

dabei, etwas dagegenzusteuern, indem wir mit

Universitäten und Fachhochschulen Kooperatio-

nen für zertifizierte Weiterbildungen eingehen.

Erhöht Spiritualität die eigene Widerstandskraft?

Es gibt mehrere Untersuchungen, die besagen,

dass gläubige Menschen eine höhere Resilienz

gegen Depressionen oder Stresserkrankungen ha-

ben. Das Eingebundensein in eine tragende Ge-

meinschaft und ein bestimmtes Grundvertrauen

erhöhen die Resilienz. Das heisst nicht, dass man

nicht krank werden oder depressive Verstimmun-

gen haben kann. Aber Spiritualität ist eine Res-

source, die zur Verfügung steht.

Gelingt es denn den Pfarrpersonen immer, diese

Ressource im entscheidenden Moment zu mobili-

sieren?

Pfarrpersonen sind nicht verletzlicher oder

widerstandsfähiger als andere, aber vielleicht sen-

sibler. Im neuen Stellenbeschrieb sind bei einer

Vollzeitstelle mindestens 3 bis 5 Prozent Freiraum

für die Pflege der eigenen Spiritualität reserviert.

Wer immer nur gibt, muss auch mal empfangen.

Diese 3 bis 5 Prozent sind ein Signal und appellie-

ren an die Eigenverantwortung. Sie sind aber auch

ein Signal an die Führung, an die Kirchgemeinde-

räte, dass man die Leute nicht zu 100 Prozent ver-

plant. Man muss immer wieder über sich selbst

reflektieren. Bei jüngeren Pfarrpersonen ist es

inzwischen völlig selbstverständlich, dass sie zwi-

schendurch eine Supervision oder ein Coaching

in Anspruch nehmen. Schwierig ist es eher für

Kollegen, die in alten Rollenmustern verharren.

Solche Pfarrämter funktionieren noch völlig ana-

log und sind der digitalen Welt mit ihrer ständi-

gen Erreichbarkeit, der Gleichzeitigkeit von Ereig-

nissen und ihren Multioptionen nicht gewachsen.

Dann ist es schnell möglich, dass man sich ver-

heddert.

Wie wirkt sich der Stress denn auf die Leute aus?

Gibt es viele Burnouts?

Burnout ist ein komplexes Phänomen mit un-

terschiedlichen Symptomen und Stufen. Für Pfarr-

personen gibt es bei uns in der Schweiz leider

keine Zahlen. Es gibt Zahlen aus Deutschland, die

besagen, dass ungefähr 4 bis 5 Prozent akut von

einem Burnout betroffen und rund 20 Prozent ge-

fährdet sind. Das würde umgerechnet auf unser

Kirchengebiet bedeuten, dass etwa 20 Leute be-

troffen sind und 80 bis 100 gefährdet. Man weiss,

dass Pfarrpersonen im Kanton Bern grundsätzlich

nicht öfter krank sind als andere Berufsgruppen,

aber wenn sie krank sind, dann sind sie länger

krank und oft mehrmals hintereinander. Das ist

ein Indiz dafür, dass Pfarrpersonen häufiger von

psychischen Erkrankungen betroffen sind.

Hilft Spiritualität, um aus einer psychischen Er-

krankung herauszukommen?

Spiritualität kann das Risiko senken, dass man

sich in einer solchen Situation verliert. Sie kann

unterstützend wirken, dass man es noch irgend-

wie schafft, sich Hilfe zu holen. Die Zuversicht,

dass Gott da ist, für einen sorgt und man nicht aus

seiner Hand fallen kann, kann eine grosse Hilfe

sein. Die Rechtfertigungsbotschaft, dass man so

angenommen ist, wie man ist, und nicht so, wie

es andere gerne hätten oder wie man selbst meint,

sein zu müssen, ist eine Befreiung. Bei Pfarrperso-

nen ist ein Burnout aber auch eine spirituelle Kri-

se. Sie sind angetreten, um für andere da zu sein,

und zerbrechen genau daran. Spiritualität ist kei-

ne Leistung. Wir vertrauen darauf, dass Christus

nicht nur immer wieder seine Kirche erneuert,

sondern auch den einzelnen Menschen.

Kann man Spiritualität lernen?

Ich denke ja. Was man lernen kann, ist, die

eigene Spiritualität zu reflektieren und sprachfä-

hig zu machen. Es ist immer eine Achterbahn. Es

gibt Situationen, in denen man gut mit seinem

Glauben zurechtkommt, und es gibt Situationen,

©Michael Stahl

Stephan Hagenow