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Fokus —– ENSEMBLE 2016/9

Im Rahmen des Projektes zur Gottesdienst-

entwicklung wird nach neuen Sprachformen

gesucht und damit herumexperimentiert.

Auch Pfarrerin Martina Schwarz von der

Kirchgemeinde Johannes in Bern machte sich

auf die Entdeckungsreise – und berichtet,

was ihr widerfuhr.

Von Martina Schwarz*

Meine Lieblingsgeigerin Patricia Kopatchinskaja

mag Karotten direkt aus der Erde gezogen lieber

als Wiener Sachertorte. Sie will keine schönen

Töne machen. Spielt meist barfuss. Vom Konzert

sagt sie: «Es muss einen erschüttern, entzücken,

in eine Welt rüberschieben, die man noch nie ge-

sehen hat, es müssen neue Gerüche entstehen,

neue Bilder ...»

Lange schon träume ich von dieser erdigen

Sprache, die Einzug hält in unsre Kirchen. Von

Worten, als spräche jemand dies eine Gebet nur

für mich. Kopatchinskaja sagte einmal, sie spiele,

als redete Beethoven direkt zu ihr. Die Töne müss-

ten eine Bedeutung haben für sie, sonst seien sie

tot. Unsre Partitur ist die Bibel. Die Klaviatur uns-

re ganze Person, das Griffbrett unsre Geschichte:

erdig verklumpt und fragil.

Sich zeigen: Braunschweig

Ich möchte selber einen kleinen Risikobericht ab-

geben. Ein Experiment, das ich vor ein paar Jahren

miterleben und -gestalten durfte. Wir waren

12 Geistliche und 12 Lebenserfahrene – das heisst

Menschen aus normalen Berufen oder Lebens­

lagen, die geistlichen Inhalten zumindest gewo-

gen sind, – und ein Experiment. Drei Jahre lang

suchten wir gemeinsam im Atelier Sprache in

Braunschweig

(www.thzbs.de

) nach einer Sprache

und Form von dialogischer Kirche. Wir erforsch-

ten, welche geistliche Sprache heutiger Lebens-

bewältigung entspricht. Welche Kommunikati-

onsformen geeignet sind, um sich mit Menschen

ohne kirchliche Erfahrung auszutauschen. Es war

ein Prozess mit offenem Ergebnis. Am Anfang gar

nicht einfach auszuhalten. Unsre Gangart war oft

abtasten, streiten oder schweigen. Manche Men-

schen, die das nicht aushielten, kamen schon gar

nicht mehr zurück. Denn es zeichnete sich ab:

Vom Glauben sprechen heisst: Ich zeige dir, was

ich liebe. Ich zeige mich dir. Das braucht Kraft.

Und Bilder. Es ging ums Ganze. Um die ganze Per-

son mit ihrer Schönheit und ihren Abgründen.

Billiger war das Neue nicht zu haben.

Preacher Slam

Von der Erfahrung in Braunschweig komme ich

schliesslich zu einer Form, die mich fasziniert: der

Slam, deutsch, die Dichterschlacht. Auf theolo-

gisch: Preacher Slam. Der Name stiess mich lange

ab. Dann hörte ich nochmals auf meine Lieblings-

geigerin Patricia Kopatchinskaja: «Ein Konzert

fordert dich heraus, fragt dich: ‹wer bist du, was

willst du›, ist ein Duell ...» Ich trat dieses Duell in

der Heiliggeistkirche im Rahmen des Kirchen-

klangfestes von letztem Jahr «cantars» mit zittern-

den Beinen an. Denn: Im Slam zählt bloss der Mo-

ment. Die Person. Wir spielen barfuss. Es gibt kein

Entkommen.

U P D A T E G O T T E S D I E N S T

Barfuss mit Erdgeruch

Veranstaltungen zu Sprache

und Gottesdienst

9. und 16. September, um 19 Uhr: Seid listig wie

die Schlangen! Biblischer Abendspaziergang

mit Schauspielerin Dorothee Reize. Weitere

Infos:

www.refbejuso.ch

> bibel

Nächste Kurse mit Martina Schwarz, Atelier

Sprache, Braunschweig:

15.–17. Juni: Unerhört schreiben. Mut zum eige-

nen Stil und

19.–21. Oktober: Wörter häkeln für die kalte

Jahreszeit. Weitere Infos und Anmeldung:

www.thzbs.de

> Atelier Sprache > Programm

17. März 2017 Forum Gottesdienst: Sprache(n)

und Verständlichkeit im Gottesdienst mit ei-

nem Impuls von Martina Schwarz und Werk-

statt. Jährliches Arbeitstreffen im Rahmen des

Projektes Gottesdienstentwicklung Refbejuso.

www.gottesdienst.refbejuso.ch

* Martina Schwarz ist Pfarrerin an der Johanneskirche in Bern,

Dozentin am Atelier Sprache in Braunschweig und ausgebilde-

ter Predigtcoach.

Wortgewandt:

Martina Schwarz.

Eloquente:

Martina Schwarz.

©Valérie Chételat