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Dossier —– ENSEMBLE 2016/9
Gibt es eine reformierte Spiritualität? Diese
Frage kann klar mit Ja beantwortet werden,
auch wenn der reformierten Spiritualität
viele Vorurteile anhaften. Nachfolgend ver-
schiedene Aspekte reformierter Spiritualität.
Von Matthias Zeindler*
In der Gemeindeseite des «reformiert.» der Stadt
Bern war vor einiger Zeit ein Artikel zu lesen unter
dem Titel: «Die Kirche öffnet sich für Spiritualität».
Berichtet wurde darin von sakralem Tanz, Sitzme-
ditation und Trancereisen. Um diese spirituellen
Inhalte geht es hier nicht, interessant war vor
allem der Titel. Dieser besagt, dass die reformierte
Kirche sich für Spiritualität «öffnet». Das würde
bedeuten, dass sie bisher noch keine Spiritualität
hatte, sondern durch Öffnen ihrer Fenster und
Türen erst eine erhält. Wenn Reformierte Spiritu-
alität wollen, müssen sie dann auf andere Quellen
zurückgreifen?
Ein solcher Titel bedient bewährte Klischees:
Die Reformierten sind stark, wenn es um ethisches
Handeln und um gesellschaftliches Engagement
geht. Mit der Feierlichkeit, mit den schönen Got-
tesdiensten dagegen haben sie es weniger. Die
sonntägliche Feier besteht im Wesentlichen aus
einer Predigt, umrahmt von ein paar Liedern und
Gebeten. Weder durch die Liturgie noch durch den
nüchternen Kirchenraum werden die Sinne ange-
regt. Im reformierten Gottesdienst wird vor allem
geredet, gehört und gedacht.
Einfluss der Reformation
Gegen die bewährten Klischees sollen hier zwei
Thesen vertreten werden. Erstens: Die Reformation
hat eine spezifische spirituelle Tradition begrün-
det. Zweitens: Die Reformierten haben eigene
spirituelle Quellen, auf die sie stolz sein können.
KONZENTRATION
AUF DAS WESENTLICHE
REFORMIERTE SPIRITUALITÄT
UNE CONCENTRATION
SUR L’ESSENTIEL
LA SPIRITUALITÉ RÉFORMÉE
* Leiter Bereich Theologie, Prof. Dr. theol.
©Michael Stahl