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Dossier —– ENSEMBLE 2016/9
Pfarrer Dr. theol. Stephan Hagenow ist Leiter
der Fachstelle Personalentwicklung Pfarr-
schaft. Im Interview erläutert er die aktuellen
Herausforderungen im Pfarrberuf. Er plädiert
dafür, dass Spiritualität gepflegt wird, denn
sie kann Stresssituationen vorbeugen.
Interview von Adrian Hauser
Welche Eigenschaften muss jemand mitbringen,
um Pfarrer oder Pfarrerin zu werden?
Eine Grundkompetenz ist meiner Meinung
nach eine hohe Kommunikationsfähigkeit. Es
braucht zudem Leidenschaft für das Evangelium
sowie eine Persönlichkeit, die belastbar und kon-
fliktfähig ist. Eine der grossen Herausforderungen
ist, sich in ganz verschiedene Menschen in unter-
schiedlichen Milieus hineinversetzen zu können.
Deshalb braucht es auch eine fundierte univer
sitäre Ausbildung und kontinuierliche Weiter
bildung.
Kann man Empathie lernen?
Man kann die Wahrnehmung schulen, aber es
braucht eine gewisse Grundkompetenz.
In welchen Situationen brauchen die Pfarrperso-
nen denn Ihre Begleitung und Unterstützung?
Ich arbeite eng mit dem Beauftragten für kirch-
liche Angelegenheiten und den Regionalpfarr
personen zusammen. Wir versuchen, die Kollegin-
nen und Kollegen auf verschiedenen Ebenen zu
unterstützen. Das können persönliche Gespräche,
Stellenbeschriebsberatungen, Kriseninterventio-
nen, die Planung von Weiterbildungen oder die
Vermittlung zu weiteren Hilfsangeboten sein. Die
erste Anlaufstelle ist die Regionalpfarrerin oder
der Regionalpfarrer, die zweite Stufe bin ich, und
die dritte Stufe ist der Synodalrat. Personalent-
wicklung heisst immer auch Präventionsarbeit in
Bezug auf die Arbeitsbedingungen, die Gesund-
heit und leider auch immer mehr bei Konflikten.
Was für Konflikte sind das denn?
Probleme bereiten oft die fehlende Wertschät-
zung in einem immer säkularer werdenden Um-
feld, fehlende Gemeindeführung, diffuse und in-
transparente Leitungsstrukturen sowie Konflikte
in Teams. In Kündigungsverfahren hat meine
Stelle eine wichtige Schutzfunktion für die Pfarr-
personen.
Wie wirkt sich denn der Spardruck auf das ganze
Berufsfeld aus?
Zunächst ist das mit viel Frust verbunden. Man
macht gute Arbeit, engagiert sich mit Herzblut –
aber das wird nicht mehr durch den Staat hono-
riert. Es sind fast 100 Pfarrpersonen, die von den
Pensenreduktionen betroffen sind. In vielen Ge-
meinden stellt sich deshalb die Frage nach der
Relevanz und Finanzierbarkeit einzelner Pfarr-
amtsaufgaben. Es gibt sehr viele Kirchgemeinden,
die gut unterwegs sind, die eine gute Führung
haben und sich über die Schaffung von gemein-
deeigenen Stellen Gedanken machen. Es gibt aber
auch Gemeinden, in denen die Pfarrpersonen in
der Luft hängen und die Diskussion gescheut wird.
Dort können die gesamtkirchlichen Dienste bera-
tend zur Seite stehen.
Was für Stressfaktoren gibt es sonst noch im Pfarr-
beruf?
Der Pfarrberuf bleibt attraktiv und spannend,
auch wenn die Hauptstressoren schnelle Rollen-
wechsel, unklare Führung, Defizite im Selbstma-
nagement und überhöhte Erwartungen an sich
selbst sind. Nicht wenige erwarten von sich selbst,
dass sie rund um die Uhr ansprechbar sind und
Verständnis für alles und jeden haben. Man erhält
zwar sehr viele Streicheleinheiten, wenn man sich
um Menschen kümmert, aber es besteht die Ge-
fahr, sich selber zu vernachlässigen. Was bei eini-
gen Pfarrpersonen noch hinzukommt, ist eine
gewisse Perspektivlosigkeit, das Gefühl einer Sack-
gasse. Man hat eine unglaublich breite Ausbil-
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SPIRITUALITÄT
IST
EINE RESSOURCE»
SPIRITUALITÄT IM PFARRBERUF
SPIRITUALITÉ
ET PASTORAT
«LA SPIRITUALITÉ, UNE RESSOURCE CONTRE LE STRESS»