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Dossier —– ENSEMBLE 2016/13

Dr. Susan Marti ist Kuratorin im Bernischen

Historischen Museum und hat die Aus-

stellung über Niklaus Manuel konzipiert.

Im Gespräch erweckt sie diese für die Berner

Reformation wichtige Figur zum Leben.

Interview von Adrian Hauser

Können Sie mir erklären, was für eine Figur

Niklaus Manuel war?

Das Auffallende an ihm ist, dass er eine sehr

vielfältige und schillernde Persönlichkeit war. Er

nahm in seinem recht kurzen Leben viele Rollen

ein. Er war Künstler, Söldner in Oberitalien, Poli-

tiker, Diplomat und Dichter. Er schlug sich auf die

Seite der Reformatoren in Bern und verhalf mit

seinen Werken der Reformation zum Durchbruch.

Sie sagen, er hatte ein kurzes Leben. Wie alt wur-

de er denn?

Man geht davon aus, dass er 46 wurde, aber

man weiss das Geburtsdatum nicht ganz genau.

Man nimmt an, dass er 1484 geboren wurde, ge-

storben ist er Ende April 1530.

War das auch für die damalige Zeit ein kurzes

Leben?

Tendenziell ja. Zu dieser Zeit war die Kinder-

und Jugendsterblichkeit relativ hoch. Wenn man

diesen Lebensabschnitt einmal überstanden hat-

te, konnte man beinahe so alt werden wie heute.

Wie kam es, dass er so viele Funktionen hatte? War

das normal für diese Zeit oder war er eine Aus­

nahmeerscheinung?

Die Leute waren sicher vielseitiger als heute.

Was ihm aber kaum einer nachgemacht hat, ist

der Wechsel vom bildnerischen Medium zum

Sprachmedium. Sowohl in seinen Zeichnungen

als auch in seinen Texten – darunter vor allem die

Fastnachtsspiele – hatte er einen sehr kritischen

Blick auf die Zeit und einen ausgeprägten Sinn für

Satire und Humor.

Was hat er an der damaligen Zeit denn kritisiert?

In seinen Texten galt die schärfste Kritik den

Äusserlichkeiten der katholischen Kirche. Er kriti-

sierte, dass man den äusserlichen Prunk und das

Zeremoniell stärker gewichtete als die geistige

Haltung dahinter.

Welches waren seine wichtigsten Werke?

Am längsten erhalten geblieben und von gröss-

ter öffentlicher Wahrnehmung war sicherlich der

Totentanz, den er auf die Friedhofsmauer des da-

maligen Dominikanerklosters in Bern gemalt hat-

te. Überhaupt war die Ausstattung des Dominika-

nerklosters ein wichtiger Kernpunkt seines

Schaffens. Wohl zusammen mit Gehilfen hatte er

den Hauptaltar und einen Bruderschaftsaltar be-

malt. Aber von der kirchlichen Kunst wurde sehr

viel zerstört. Deshalb können wir gar nicht beur-

teilen, wie viele seiner wichtigen Werke verloren

gegangen sind.

Der Totentanz wurde ja auch zerstört?

Ja, aber nicht während der Reformation. Er fiel

um 1660 einer Strassenerweiterung zum Opfer,

wurde aber vorher im Jahre 1649 von Albrecht

Kauw in verkleinerten Aquarellkopien sehr genau

festgehalten.

Was wollte Niklaus Manuel mit dem Totentanz

aussagen?

Bei all seinen grossen Werken konnte er nicht

selber entscheiden, was er malen wollte, sondern

das waren Auftragsarbeiten, wie es damals in der

Kunst üblich war. Seine Auftraggeber, hauptsäch-

lich die Berner Dominikaner, wollten mit dem

Totentanz an die Vergänglichkeit des Lebens er-

innern. Die Quintessenz der Aussage ist, dass jeder

Stand vom Tod geholt wird und dass nur ein buss-

fertiges Leben hilft, errettet zu werden.

«AUSGEPRÄGTER

SINN FÜR SATIRE

»

NIKLAUS MANUEL

UN SENS

AIGU DE LA SATIRE

NIKLAUS MANUEL