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ENSEMBLE 2016/13 —– Dossier
Was bedeutet der Totentanz für die Reformation?
Das ist eine Frage, die nicht ganz einfach zu
beantworten ist. Jedenfalls haben sich die Refor-
matoren nicht gegen diese Bildfolge gestellt und
sie nicht entfernt. Dadurch, dass der Totentanz den
Akzent auf ein bussfertiges Leben setzt, das gegen
innen gerichtet ist und bei dem es um die innere
Einstellung der Gläubigen geht, konnte dieses The-
ma durchaus weiterhin bestehen. Es wurde im Zu-
ge der Reformation nur eine Anpassung vorgenom-
men: In der letzten Szene hatte es in der
ursprünglichen Fassung einen Dominikanermönch,
der in einer Predigt das Fazit der Bussfertigkeit for-
muliert. Dieser wurde dann in der nachreformato-
rischen Zeit mit einem reformatorischen Prediger
übermalt. Wir sind über die Finanzierung dieses
Auftrags zwar nicht ganz genau informiert, aber
auf jeden Fall waren auch die Berner Schultheissen,
also die Berner Stadtregierung, massgeblich daran
beteiligt. Denn am Anfang und am Schluss der Bil-
derserie befinden sich Wappen der Schultheissen,
auf den anderen Szenen solche von anderen wich-
tigen Berner Familien. Das heisst, es war nicht nur
ein Thema, das die Dominikaner in die Stadt ge-
bracht haben, sondern es war sehr stark in be-
stimmten Schichten der Bevölkerung verankert.
Können Sie uns erklären, was die Fastnachtsspiele
waren?
Fastnacht ist ja die Zeit vor der österlichen
Fastenzeit, in der man seit dem 10. Jahrhundert
über die Stränge geschlagen hat und in der man
alles kritisieren konnte. Vieles war in dieser Zeit
ausser Rand und Band, es gab Festgelage und
man lud sich gegenseitig ein. Zur Unterhaltung
aller Besucher wurden auf den Gassen öffentli-
che Theaterspiele aufgeführt.
Für diese Gelegenheit hat Ni-
klaus Manuel zwei Stücke
geschrieben, in denen er ge-
wisse Eigenheiten der katho-
lischen Kirche in satirischer
Schärfe kritisiert hat. Das war
eine Kunstform, mit der er
sehr viele Leute erreicht hat.
Was hat er in den Fastnachts-
spielen an der katholischen
Kirche kritisiert?
Immer wieder ein Thema
war der ganze Ablasshandel.
Das haben aber nicht nur die
Reformatoren kritisiert. Es
gab auch innerkirchliche Be-
wegungen, die sich sehr stark
dagegen gerichtet haben.
Das hat er aufgegriffen und
verstärkt. Auch der Pomp des
Papstes war ein Kritikpunkt. Es gibt sehr ein-
drückliche Stellen, in denen er beschreibt, wie
der Papst mit einem grossen Gefolge und gold-
besetzten, prunkvollen Kleidern in Rom einzieht.
Dem stellte er gegenüber, wie Jesus am Palm-
sonntag auf seinem Esel in Jerusalem einzog.
Hat er sich auch Feinde geschaffen mit seiner
Kritik?
Ja, natürlich. Als die Altgläubigen die Mehrheit
im Kleinen Rat hatten, versuchte man ihn auf Di-
stanz zu halten, indem man ihn als Landvogt nach
Erlach schickte. Dies, weil man offenbar dachte,
dass er ausserhalb der Stadt weniger Unheil an-
richtet als in der Stadt. Das deutet darauf hin, dass
man ihn als relativ mächtig wahrgenommen hat,
weil er halt auch sehr gut reden konnte. Erst als
der Kleinrat mehrheitlich neugläubig war, holte
man ihn zurück. An der Disputation – also jenem
Gespräch, an dem über die Glaubenszugehörigkeit
Berns entschieden wurde – setzte man ihn als Aus-
rufer ein. Das heisst, er erteilte das Wort und be-
grenzte die Redezeit. Das war eine sehr wichtige
Steuerungsfunktion. Später wurde er dann sogar
Mitglied des Kleinen Rates, also der Exekutive der
Stadt Bern.
Wie kam er denn zur Politik? Weil er gut reden
konnte?
Nein, weil er gut heiratete. Zuerst kam er in
den Grossrat, weil er die Tochter eines wichtigen
und einflussreichen Patriziers heiratete. Dieser
angeheiratete Protektor verschaffte ihm zunächst
ein Grossratsmandat. Erst nach der Disputation
wurde er in den Kleinrat gewählt und führte die-
ses Amt zwei Jahre lang bis zu seinem Tod aus.
Susan Marti
©Bernisches Historisches Museum