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Fokus —– ENSEMBLE 2016/8
Highlight für uns, aber noch viel mehr für unsere
Klientel, ist die Tatsache, dass die meisten von ih-
nen schnell wissen, ob sie Schutz erhalten oder
nicht.
Wie unabhängig sind Sie?
Diese Frage stellt man mir immer wieder. Um
ehrlich zu sein, auch ich selbst. Sinnigerweise
stellt sich die Frage der Unabhängigkeit im Ar-
beitsalltag nie so, wie man sie sich in der poli
tischen Debatte vorstellt. Im Kontakt mit den
Klientinnen und Klienten bin ich immer in Inter-
aktion mit einem Menschen, mit einem schwieri-
gen Schicksal. Im Rahmen dieser Interaktion ist
meine Arbeit logischerweise von Abhängigkeiten,
zum Beispiel vom Dolmetscher, geprägt. Das SEM
kann uns aber nicht vorschreiben, wie wir unsere
Mandate zu führen haben, ausser dass sie sorg
fältig geführt werden müssen. Weder durch Wei-
sungen noch über den Leistungsvertrag. Auch
beeinflusst uns die örtliche Nähe nicht.
Was ist Ihre Motivation, diesen nicht gerade ein-
fachen Rechtsdienst zu leiten?
Es ist die einmalige Chance, ein neues, für die
Asylsuchenden klar besseres Verfahren mitzuent-
wickeln. Denn mit dem neuen, schnelleren und
faireren Verfahren müssen Flüchtlinge nicht mehr
Jahre auf die Antwort warten, ob sie in der Schweiz
Schutz erhalten.
* Leiterin Fachstelle Migration
C E N T R E P I L O T E D E Z U R I C H
«Réduire l’attente inutile»
Dominique Wetli est directeur du Centre bernois
de conseil juridique pour personnes en détresse,
soutenu par les Eglises réformées Berne-Jura-So-
leure. Il dirige l’équipe d’assistance juridique
qui intervient au centre pilote de Zurich, au sein
duquel le Secrétariat d’Etat aux migrations teste
les procédures d’asile accélérées.
Interview par Anne-Marie Saxer*
Pouvez-vous nous décrire l’activité quotidienne
d’un représentant légal dans le centre?
La journée débute en règle générale à 8 heures
par les premiers entretiens avec nos clients. Puis
les représentants légaux (RL) accompagnent leurs
clients dans les auditions. Au cours de ces der-
Dominique Wetli ist Geschäftsleiter der
Berner Rechtsberatungsstelle für Menschen
in Not, die von den Reformierten Kirchen
Bern-Jura-Solothurn mitgetragen wird.
Er leitet zudem das Rechtsschutzteam im
Verfahrenszentrum Zürich. Dort testet das
Staatssekretariat für Migration schnellere
Asylverfahren.
Interview von Anne-Marie Saxer*
Herr Wetli, wie läuft ein Arbeitstag eines Rechts-
vertreters im Testzentrum ab?
Der Tag beginnt in der Regel um 8 Uhr mit den
ersten Klientengesprächen. Danach begleiten die
Rechtsvertretenden (RV) ihre Klientel in die Anhö-
rungen. Während dieser Anhörungen werden die
Asylsuchenden durch Mitarbeitende des Staats
sekretariats für Migration (SEM) insbesondere zu
ihrem Reiseweg, ihren Familienmitgliedern und
dem Grund, wieso sie in der Schweiz Schutz
suchen, befragt. Nach den Anhörungen folgen
weitere Gespräche, wenn nötig immer mit Dol-
metschern. Neben den Anhörungen verfassen die
RV die notwendigen Rechtsschriften, unter ande-
rem auch Beschwerden ans Bundesverwaltungs-
gericht. Der Tag endet in der Regel mit den letzten
Einträgen im digitalen Klientenjournal um 18 Uhr
oder auch später.
Wo liegen die grössten Herausforderungen?
Es gehört zu den Aufgaben der RV, den Schutz-
suchenden den Entscheid der Behörden zu erklären.
Eine Herausforderung ist dies immer dann, wenn
man Asylsuchenden mitteilen muss, dass sie nicht
in der Schweiz bleiben dür-
fen. Denn auch Personen,
die keinen Schutz erhalten,
haben meist ein schweres
Schicksal.
Können Sie ein Highlight
schildern?
Ein ganz grosses High-
light ist das Team, in dem
ich arbeite. Dank dieser
Gruppe von cleveren und
engagierten Juristinnen
und Juristen macht die Ar-
beit immer wieder Spass,
auch wenn sie manchmal
schwer ist. Ein weiteres
A S Y L - T E S T B E T R I E B I N Z Ü R I C H
«Nicht mehr Jahre warten»
F
Ja zu den neuen Asylverfahren
Im Bundeszentrum Zürich leben
rund 300 Asylsuchende. Sie bleiben
etwa 45 Tage, bis sie mit einem Ent-
scheid an die Kantone zugewiesen
werden oder ausreisen müssen.
Rund 15 Juristinnen und Juristen
sind im Auftrag des Bundes für
den Rechtsschutz verantwortlich.
Aufgrund eines positiven Auswer-
tungsberichts genehmigte das Par-
lament imHerbst die entsprechende
Revision des Asylgesetzes. Am
5. Juni dieses Jahres stimmt das
Schweizer Volk darüber ab.