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ENSEMBLE 2016/13 —– Fokus

P O R T R Ä T M O H A M M E D R I D H A A M R O U S I

Tanzen mit sakraler Dimension

Tanzen hat eine spirituelle Dimension und

Tradition. Ein Hüter dieser Tradition ist

der 76-jährige Ridha Amrousi, eine Ikone des

tunesischen Tanzes. Aufzeichnung einer

berührenden Begegnung mit einer fremden

Kultur in der Schweiz.

Von Susanna Meyer

Tanzen gehört zu jenen Formen von Spiritualität,

die in allen Religionen immer auch etwas mit Arg-

wohn betrachtet werden. Die Grenzen zwischen

frommer Hingabe und Sinnlichkeit sind fliessend.

Als König David, umgürtet mit einem priesterlichen

Kleid, voller Hingabe vor der Bundeslade hertanzt,

wirft ihm seine Frau vor, er habe sich vor dem Volk

erniedrigt. Er versichert ihr, er habe vor Gott und

nicht für die Blicke ihrer Mägde getanzt. (2. Samu-

el 6,14–22)

Jungbrunnen und Lebenskraft

Ridha Amrousi ist eine Ikone des tunesischen Tan-

zes: Er war 35 Jahre lang Trainer und Choreograf

des Nationalen Tunesischen Tanz-Ensembles, 25

Jahre lang Lehrer für traditionellen tunesischen

Tanz am Konservatorium von Tunis. Es waren die

Jahre nach der Unabhängigkeit von Frankreich, und

der junge tunesische Staat leistete sich eine Kultur-

stätte, wo neben Ballett und Jazz auch die eigenen

Wurzeln gepflegt wurden. Das Nationalensemble

war auf der ganzen Welt unterwegs, es war eine

Zeit der Blüte und des Selbstbewusstseins

Heute ist Ridha Mitglied in den Jurys, welche

die berufliche Zulassung von Tänzerinnen oder

Kulturprojekte beurteilen. Soeben hat er selber

mit einer Tänzerin und Choreografin, die eine

Schülerin von ihm war, eine Aufführung zur Eröff-

nung des Tanzfestivals in Tunis organisiert. Als

Jury-Mitglied für die anderen Aufführungen stell-

te er mit Bedauern fest, dass kaum jemand der

aktuellen Kunstschaffenden sich für das eigene

Erbe interessiert. Der «Westen» übt auch in der

Kunst einen unwiderstehlichen Sog aus.

Ridha Amrousi ist 76 Jahre alt, aber wenn er

unterrichtet, sprühen die Funken. Ist Tanzen ein

Jungbrunnen? – «Ja wirklich – al hamdu l’Illah

(Gottlob und Dank) – es sind jetzt 40 Jahre seit ich

tanze, und das ist gut», lacht er aus vollem Herzen.

Verschiedene Elemente

Ein Tanz kann nicht in Büchern aufbewahrt wer-

den. Er muss körperlich vermittelt werden. Hat

Ridha Amrousi keine Nachfolger, an die er seine

breiten und fundierten Kenntnisse weitergeben

kann? Ridha ist einer der letzten Hüter einer ur-

alten Tradition. Gerne würde er alle Beduinisch-

Tanzenden des Landes aufspüren und filmen.

Denn das Archiv mit Dokumentationen über die

Aufführungen des Nationalensembles wurde acht-

los zerstört. Hier in der Schweiz, an der Schule für

arabischen Tanz im «MorgenAbendLand», findet

er Frauen, die sich für die tiefe Dimension des tu-

nesischen Tanzes interessieren. Deshalb geniesst

er jeweils die Tage hier und lebt auf. «Die grosse

Mehrheit der Ensembles aus Tunesien möchte nur

demWesten gefallen», sagt Ridha Amrousi. Dabei

steckt so viel Kraft und Lebensfreude im traditio-

nellen tunesischen Tanz – der sich als eine Art

Amalgam aus Elementen der ursprünglichen

Berber-Kultur und der überlagernden und domi-

nanten der erobernden Araber (im 8. Jh vor Chris-

tus) als eigener tunesischer Stil entwickelt hat.

Neben arabischen finden sich auch afrikanische

Elemente in diesem Tanz, in welchem sich alle

Bewegungen fliessend und in Drehungen um die

eigene Achse aufbauen.

Die immer schneller werdenden Drehungen

erinnern an Tänze der Derwische. Der Tanz hat

eine sakrale Dimension, indem er Energie freilegt

und das innere Feuer nährt. Es ist etwas Ursprüng-

liches daran. Es sind profane Tänze, die aber trotz-

dem auf etwas Grösseres hinführen.

Tanzkurse und weitere Infos:

www.morgenabendland.ch

©Morgenabendland

Ridha Amrous