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ENSEMBLE 2017/15 —– Fokus
Betreuung, angefangen, Lieder zu singen und Ge-
schichten zu erzählen. Gerade für die Eltern, oft
auch alleinstehende Mütter, werden die Tage im
Zentrum lang. Manche sind erschöpft und trau-
matisiert, es fehlt ihnen an Kraft, um mit ihren
Kindern zu spielen.
In dieser Unterwelt befinden sich auch der Ge-
betsraum und unser Büro. Im Gebetsraum hängt
eine fahle Kopie der muslimischen Gebetszeiten
provisorisch an einem Handtuchhaken. Nur we-
nige beten hier. Dieser Raum selbst ist noch in
passagerer Verfassung. Aus dem ehemaligen Spi-
talzimmer soll aber ein Ort der Ruhe und des An-
kommens werden.
Zwei Mütter mit ihren Kindern haben dort neu-
lich ein eritreisches Lied gesungen, zu dem sie
wiegend ihre Arme bewegten. «Was bedeutet die
Bewegung?», fragt die Seelsorgerin. Die Ältere
sagt, das Lied handle von Jesus, der uns in den
Himmel hinüberträgt – sie sucht nach dem engli-
schen Wort: «Like transfer!»
Café für Flüchtlinge
Im November ist von Freiwilligen im ehemali-
gen Personalhaus des Zieglerspitals ein «Café
für die Flüchtlinge und die Bevölkerung» eröff-
net worden. Es ist jeweils dienstags und freitags
von 15 bis 19 Uhr sowie sonntags von 14 bis
18 Uhr offen. Angeboten werden Café und
Kuchen, Spiel und Gespräch, kreatives Werken
und gemütliches Lesen.
Weitere Informationen zu Seelsorge:
www.sesabe.chIm Mai 2016 wurde das Bundeszentrum
für Asylsuchende im ehemaligen Zieglerspital
Bern mit vorerst 150 Plätzen eröffnet. Die
darin neu aufgebaute Seelsorge ist ein Projekt
der Interkonfessionellen Konferenz.
Von Pascal Mösli*
Wenn die Seelsorgerin morgens beim Zentrum
eintrifft, stehen manchmal zwei Gruppen Men-
schen vor dem Eingang. Die einen in Arbeitsklei-
dung, motiviert für ihren Arbeitseinsatz. Die an-
deren reisebereit mit Koffern und Taschen bepackt.
Auf den Gesichtern Letzterer ist zu lesen, dass der
Abschied vom Zentrum kaum schwerer ist als das
Verlassen eines Wartsaals. Wer von hier aufbricht,
hat andere Abschiede hinter sich.
«Transfer?», fragt die Seelsorgerin vor dem Ein-
gang des Zentrums. «Transfer!», antworten die zur
Abfahrt Bereiten mit einem Blick zwischen Erleich-
terung und Sorge. Was vor ihnen liegt, ist das be-
kannte Aufbrechen ins Unbekannte.
«Hé, pasteur»
Transfer meint im Alltag des Zentrums in erster
Linie den Umzug in ein kantonales Zentrum. Als
«transfer» oder «passager» könnte aber grundsätz-
lich der Zustand der Menschen im Zentrum be-
zeichnet werden. Denn niemand bleibt länger als
neunzig Tage da, die meisten nur wenige Wochen.
Es gibt nichts Dauerhaftes, alles ist im Fluss. Viele
Gespräche ergeben sich auch auf den Gängen. Das
Wesentliche in der Begegnung zwischen Seelsor-
genden und den Asylsuchenden muss deshalb
dem Moment entspringen. Jeder Gruss soll die
Kraft eines Segens enthalten.
Manche rufen uns zu: «hé, pasteur!» und win-
ken uns herbei. Manchmal bekommen wir einen
Anruf von der Pflege, wenn ein offenes Ohr in ge-
schützter Atmosphäre oder einfach etwas Zeit
gefragt sind. Manchmal begleiten wir die Asylsu-
chenden auf einem Spaziergang oder zur Rechts-
beratungsstelle.
Lange Tage unter Tag
Im Untergeschoss des alten Spitalkomplexes wird
momentan eifrig umgebaut, aber auch gespielt,
gegessen, abgewaschen, ferngesehen. Viele Kin-
der, da sie nicht zum Putzdienst eingeteilt sind,
tummeln sich am Morgen im Untergeschoss. Mit
ihnen hat das Seelsorgeteam, zusammen mit der
T R A N S F E R !
Seelsorge für Asylsuchende
* Beauftragter Spezialseelsorge und Palliative Care
© Patrick Lüthy / Imagopress
Seelsorge: Wenn
ein offenes Ohr in
geschützter Atmo-
sphäre gefragt ist.
Aumônerie:
lorsqu’une oreille
attentive est
demandée dans
un cadre protégé.