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Dossier —– ENSEMBLE 2015/1
Pfarrschaft vom Kanton oder direkt von den drei
Landeskirchen angestellt sein sollen. In beiden
Fällen müsste aber der Staat – so die Forderung
der reformierten Kirche – die Löhne finanzieren
oder die Kirche für die abgetretenen Güter ent-
schädigen.
Dass die Pfarrschaft direkt als Staatsangestell-
te oder indirekt als Kirchenangestellte durch den
Staat entlöhnt wird, hat durchaus seine Berechti-
gung. Denn die Evangelisch-reformierte Kirche
war in Bern seit der Reformation von 1528 Staats-
kirche. Die Kirche war damit Bestandteil der Struk-
turen des Stadtstaates Bern und die Regierung
verstand sich als oberste Kirchenbehörde. Seit dem
Kirchengesetz von 1945 geniesst die reformierte
Kirche zwar eine Autonomie in inneren Angele-
genheiten. Sie verpflichtet sich allerdings auch
heute noch zu einem flächendeckenden Service
public und ist überall im Kanton Bern präsent. Sei
dies in den urbanen Zentren oder weit draussen
in den ländlichen Regionen. Die reformierte Kir-
che versteht sich als Volkskirche und steht allen
Menschen offen, ob sie Mitglieder sind oder nicht.
Hinzu kommt, dass rund zwei Drittel der Berner
Bevölkerung tatsächlich Mitglied der reformierten
Landeskirche sind.
Der Expertenbericht von Muggli und Marti
geht denn auch auf die verschiedenen Leistungen
ein, welche die Kirche für die Allgemeinheit er-
bringt. Und diese sind vielfältig. Sie beginnen bei
der Kinder- und Jugendarbeit, reichen über Bera-
tungsangebote zu Ehe und Familie, Angebote für
Senioren und Betagte, Hilfe für Schwache und
Armutsbetroffene, Unterstützung von Migranten
und Asylsuchenden bis hin zu kulturellen Leistun-
gen und Öffentlichkeitsarbeit. Die Kirche ist also
tatsächlich mehr, als man glaubt.
Entflechtung von Kirche und Staat
Aus dem Expertenbericht leitete der Regierungs-
rat in seinem Bericht acht Leitsätze für die im
Herbst bevorstehende Debatte im Grossrat ab.
Grundsätzlich strebt er eine Totalrevision des Kir-
chengesetzes von 1945 an, die zu einer Entflech-
tung von Kirche und Staat führen und den Lan-
deskirchen mehr Autonomie zugestehen soll. Die
politische Diskussion dreht sich jedoch hauptsäch-
lich um das Angestelltenverhältnis der Pfarrschaft.
Zu diesem Thema bezieht der Regierungsrat denn
auch unmissverständlich Stellung: Die Geistlichen
sollen von den Landeskirchen angestellt werden,
und die Personaladministration soll ebenfalls den
Landeskirchen übergeben werden. Zu Auseinan-
dersetzungen führen wird die Frage nach dem
Preis. In diesem Punkt hat sich der Regierungsrat
noch nicht konkret geäussert. Er stellt in seinem
Bericht lediglich fest, dass durch den «Transfer»
der Pfarrschaft zwei Vollzeitstellen «abgebaut
Sparpotenzial Kirche?
– Die Kirche geriet immer wieder ins
Visier von Sparübungen. So wurden die Pfarrstellen in den letz-
ten Jahren sukzessive abgebaut. Gab es 1996 noch 391,3 evan-
gelisch-reformierte Pfarrstellen, so sind es heute nur noch 360,5
Stellen. Bis im Jahr 2019 sollen es nur noch 335,6 Pfarrstellen
sein. Das bedeutet, dass es 2019 genau 55,7 Pfarrstellen weniger
geben wird als 1996. Die Frage drängt sich auf, ob beim Kanton
im gesamtgesellschaftlichen Bereich auch so viele Stellen ab-
gebaut wurden.
F
Potentiel d’économies?
– L’Eglise fait systématiquement
les frais des restrictions budgétaires. Ces dernières an-
nées, les suppressions de postes d’ecclésiastiques se sont en-
chaînées: l’Eglise réformée évangélique comptait 391,3 postes
de ministres en 1996 contre 360,5 aujourd’hui; en 2019, il ne
devrait plus en rester que 335,6 soit très précisément 55,7 de
moins qu’en 1996. Ces chiffres suscitent une grande question:
les suppressions de postes à l’échelle de l’ensemble des secteurs
cantonaux actifs dans le domaine social sont-elles vraiment du
même ordre?
© Michael Stahl
Der Expertenbericht beweist: Die Kirche leistet mehr, als sie kostet.