ENSEMBLE Nr. 4 - Dezember 2015 - page 12

12
Dossier —– ENSEMBLE 2015/4
Maude Barlow ist Vorsitzende der kana-
dischen Bürgerbewegung «Council of Cana-
dians». Sie setzt sich für das Menschenrecht
auf Wasser ein und gegen eine Kommer-
zialisierung dieses öffentlichen Gutes.
Sie erklärt, was bisher erreicht wurde und
warum es trotzdem noch viel zu tun gibt.
«ICH FÜHLE MICH
VERPFLICHTET
»
INTERVIEW MIT MAUDE BARLOW
«J’AI LE DEVOIR DE M’
ENGAGER
»
INTERVIEW DE MAUDE BARLOW
Interview von Lisa Krebs,
Fachbeauftragte Entwicklungszusammenarbeit
Ende 2015 ist die Zeitspanne zur Erreichung der
Millenniums-Entwicklungsziele abgelaufen. Das
Ziel im Bereich Wasser – die Reduktion der Anzahl
Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser
– ist erreicht. Heute habe neun von zehn Personen
Zugang zu sauberem Wasser. Trotzdem sterben
heute täglich Tausende von Kindern aufgrund des
Konsums von verunreinigtem Wasser. Warum ist
es so schwierig, allen Menschen Zugang zu Trink-
wasser zu verschaffen?
Viele Menschen – ich eingeschlossen – bezwei-
feln die Aussage der UNO, dass das Ziel im Bereich
Trinkwasser erreicht worden ist. Die UNO rechnet
den Zugang zu Wasser über die Anzahl neu ins-
tallierter Rohre. Aber damit wird nicht berücksich-
tigt, dass viele Rohre und Leitungen schmutziges
Wasser transportieren, die neue Infrastruktur
eventuell weit von den Leuten entfernt liegt oder
der Preis für den Konsum von Wasser aus den neu-
en Leitungen das Budget der Armen übersteigt.
Die UNO anerkennt jedoch, dass das Ziel im Be-
reich Zugang zu sanitären Installationen weit ver-
fehlt wurde: 2,5 Milliarden Menschen haben kei-
nen Zugang zu Toiletten und Hygiene. Die
zunehmende ökologische Wasserkrise hat zur
Folge, dass es in manchen Regionen immer
schwieriger wird, überhaupt Zugang zu Wasser
zu erhalten. Ich denke, diese Themen bleiben be-
stehen, weil viele Regierungen immer noch an ein
Marktsystem glauben, das auf der Zusammenar-
beit mit privaten Dienstleistern beruht, statt dass
öffentliche Systeme finanziell unterstützt werden,
von denen eine Mehrheit profitieren würde.
2010 hat die UNO-Generalversammlung das Recht
auf Wasser anerkannt. Wer hat seither von diesem
neuen Menschenrecht profitiert? In welchem Sin-
ne unterstützt es das Ziel, dass alle Menschen Zu-
gang zu sauberem Wasser erhalten? Wo liegen die
Herausforderungen in der Anwendung und Um-
setzung des neuen Rechts?
Es dauerte sehr lange bis der Entscheid der
UNO, dass es ein Recht auf Wasser gibt, den Leu-
ten auch wirklich bewusst wurde. Aber seit die
Menschen um das neue Menschenrecht wissen,
gibt es viele Zeichen der Hoffnung: Mehrere Län-
der haben ihre Gesetze angepasst oder die Ver-
fassung ergänzt, um das Recht auf Wasser anzu-
erkennen. Eine Reihe von Schlüsselentscheiden
von Gerichten unterstützt zudem die UNO-Reso-
lution. Verschiedene Gruppierungen nutzen die
Resolution, um das Recht auf Wasser zu fördern,
wo es vorher bestritten war. Dies beispielsweise
in Detroit, wo Menschen einfach von der Wasser-
versorgung abgeschnitten wurden, oder in
Mexiko, wo die lokale Industrie durch Öl- oder
Erdgasbohrungen Trinkwasserquellen ver-
schmutzt. Zudem wurde das Recht auf Wasser
erfolgreich ins Feld geführt, um die Rückgabe von
privatisierten Wasserversorgungen an die öffent-
liche Hand zu bewirken.
In Ihrem Buch «Blaue Zukunft» erklären Sie an-
hand verschiedener Beispiele aus dem Norden und
dem Süden die Bedeutung von Wasser als öffent-
liches Gut als Grundvoraussetzung dafür, dass
alle Menschen Zugang zu Wasser erhalten. Können
Sie diese Bedeutung kurz erläutern?
1...,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11 13,14,15,16,17,18,19,20,21,22,...36
Powered by FlippingBook