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Dossier —– ENSEMBLE 2017/15
Anita Gerber verbrachte einen grossen Teil
ihres Lebens in Mexiko und war dort in der
Reisebranche tätig. Nachdem der Tourismus
zusammengebrochen ist und drei Hurrikans
ihr Hab und Gut zerstörten, kam sie 2008
mit leeren Händen zurück in die Schweiz.
Heute lebt sie von der Sozialhilfe und
wünscht sich nichts mehr als Arbeit.
Von Adrian Hauser
Anita Gerber aus Bützberg blickt auf ein bewegtes
Leben zurück. Sie verbrachte rund 20 Jahre in ihrer
Wahlheimat Mexiko und besitzt neben der Schwei-
zer Staatsbürgerschaft auch den mexikanischen
Pass. Es begann mit einem Traum: Als 26-jährige
Reisebüroangestellte, neugierig auf die Welt und
erfüllt vom Reisefieber, erkundete sie während
eines Jahres Zentralamerika. Sie war von der frem-
den Welt so begeistert, dass für sie schon damals
klar war: Irgendwann möchte sie selbst in einem
solchen Land leben. Nach ein paar Jahren im Beruf
brach sie dann wieder auf. Destination: Mexiko!
«Das Land war damals stabil und der Tourismus
boomte», erklärt Anita Gerber. Mit 32 Jahren
bereitete sie dann ihre Auswanderung vor. «Ich
wollte meine Komfortzone verlassen, obwohl ich
damals einen guten Job hatte», erzählt sie.
Land im Umbruch
Am Anfang lief denn auch alles bestens: Nachdem
sie die Sprache gelernt hatte, fasste sie bald Fuss
in der Reisebranche. Dies hauptsächlich in der
Betreuung von Reisenden aus Europa. Mitte der
90er-Jahre kamen dann die politischen Unruhen.
Die Zapatisten, die sich für die Rechte der indige-
nen Bevölkerung stark machten, erklärten der
Regierung den Krieg und besetzten mehrere Städ-
te. «Es gab immer mehr Entführungen, Korruption,
Kriminalität und Umweltkatastrophen», berichtet
Anita Gerber. Die Folge: Das Tourismusgeschäft
knickte ein, und für Anita Gerber wurde es zuneh-
men schwieriger, Arbeit zu finden. Dennoch konn-
te sie sich eine Zeit lang durchschlagen. Als Re-
zeptionistin, Deutschlehrerin oder Reiseführerin.
Im Juli 2005 kam dann der erste Hurrikan. Der
Wind fegte mit über 250 Sachen durch das Land
und verwüstete unter anderem das Hotel, in dem
Anita Gerber damals arbeitete. Kaum hatte sie
wieder eine Stelle, folgte ein Monat später ein
weiterer Hurrikan. Wieder wurde das Hotel, in
dem sie arbeitete, zerstört, und auch ihr Haus. Der
finale Stoss kam 2007 mit einem dritten Hurrikan.
Abermals wurde Anita Gerbers Hab und Gut zer-
stört, der Tourismus brach schliesslich ganz zu-
sammen. Anita Gerber musste 2008 mit nichts in
die Schweiz zurückkehren.
Situation reflektieren
«Das einzig Sichere ist heute in Mexiko, dass nichts
sicher ist», sagt die heute 60-jährige Anita Gerber
nachdenklich. Sie lebt von der Sozialhilfe, ist seit
einigen Jahren ausgesteuert, ein Job ist zurzeit
keiner in Sicht. Anita Gerber tut alles, um eine
Arbeit zu finden, wünscht sich nichts mehr als das.
Sie ist aktiv, sprachbegabt, kommunikativ, offen
und sehr vielseitig interessiert. Kürzlich besuchte
sie den Fotokurs «Fokus» für Erwerbslose, der von
den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn
mitfinanziert wird. Sie hat sich angemeldet, weil
sie Leute treffen und etwas Neues lernen wollte.
Im Kurs konnte sie auch gemeinsam mit anderen
Personen in derselben Lage ihre Situation reflek-
tieren und etwas Halt fassen. Die Fotos der Teil-
nehmenden wurden im Dezember in der Thomas-
kirche in Liebefeld ausgestellt. Titel der
Ausstellung: «50 plus: Ge-schafft?»
Weitere Informationen über den Fotokurs:
Sozial-Diakonie: Tel. 031 340 25 66 oder
sozdiakonie@refbejuso.chP O R T R Ä T
«Sicher ist, dass nichts sicher ist»
©Adrian Hauser
Anita Gerber