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Dossier —– ENSEMBLE 2017/20

Auch die Spezialseelsorge ist ein Dienst

der Kirchen an der Gesamtheit der Bevölke-

rung. Die Reformierten Kirchen Bern-Jura-

Solothurn beteiligen sich intensiv daran.

Worum es geht, beschreibt der folgende Text –

unter Einbezug eines fiktiven Beispiels.

Von Pascal Mösli*

Simon Peng-Keller, Professor der noch jungen Dis-

ziplin Spiritual Care in Zürich, nennt es in einem

aktuellen Artikel eine kleine Revolution im Ge-

sundheitswesen: 1984 forderte die Weltgesund-

heitsorganisation der UNO in einer Resolution,

dass die «spirituelle Dimension» in allen Bereichen

der Gesundheitsversorgung zu berücksichtigen

sei. Davor war die spirituelle Begleitung alleinige

Sache der religiösen Gemeinschaften und wurde

im Gesundheitswesen allenfalls geduldet. Heute

gehört es in vielen Ländern zum Grundauftrag

von Ärztinnen und Pflegenden, Betreuungsperso-

nen und Psychologen, dass sie die spirituelle Di-

mension miteinbeziehen. Diese Entwicklung ist

eine grosse Herausforderung und Chance für die

kirchliche Spezialseelsorge in Institutionen. Indem

die spirituelle Dimension mehr Beachtung erhält,

hat die Seelsorge mehr Unterstützung, sie muss

ihre Expertise aber auch im interdisziplinären Zu-

sammenspiel aufzeigen.

Beispiel aus der Praxis: Herr Moser lebt in ei-

nem kleinen Einfamilienhaus zusammen mit sei-

ner Ehefrau. Beide sind über siebzig Jahre alt. Herr

Moser hat einige Gebrechen, kann aber durch die

Unterstützung seiner Ehefrau zu Hause leben.

Wichtig sind ihm der Garten und besonders die

beiden Bienenvölker am nahe gelegenen Wald-

rand. Als er eines Morgens unglücklich stolpert,

erleidet er einen komplizierten Bruch im Hüftge-

lenk. Er muss operiert werden.

Seelsorge im Spital

Seit eineinhalb Jahren ist im Kanton Bern die seel-

sorgliche Betreuung als Aufgabe der Spitäler im

Gesetz festgeschrieben: Alle Patientinnen und

Patienten sowie ihre Angehörigen sollen un­

abhängig von ihrer Weltanschauung Zugang zu

Seelsorge erhalten. Betraut mit dieser Aufgabe

und finanziert von den Spitälern ist die landes-

kirchliche, ökumenische Spitalseelsorge.

Zurück zum Beispiel aus der Praxis: Die Opera-

tion bei Herrn Moser verläuft schwierig, es kommt

zu Komplikationen und er muss länger als erwar-

tet im Spital bleiben. In der Nacht vertraut er sich

einem Pfleger an und spricht über seine Angst

davor, die Kontrolle über sein Leben zu verlieren.

In der zweiten Nacht schlägt dieser ihm vor, den

Seelsorger der Abteilung beizuziehen. Das lehnt

er ab, weil er kirchlich nicht aktiv sei. Der Pfleger

kennt den Seelsorger und meint, das sei kein

Problem und er solle doch einfach einen Versuch

machen. Herr Moser stimmt zu und der Seelsorger

trifft ihn am nächsten Morgen. Weil der Seelsorger

nichts Bestimmtes von ihm will, sondern sich in

seine Welt der Bienen und sein Gefühl der Natur-

verbundenheit einlassen kann, fasst Herr Moser

Vertrauen. Der Seelsorger lernt einen Menschen

kennen, der sich bis zu diesem Zeitpunkt stets

selbst zu helfen wusste und dem es unerträglich

ist, dass er sich vielleicht nie mehr selbständig

bewegen kann. Bei einem seiner Besuche be­

gegnet der Seelsorger Herrn Mosers Ehefrau. Er

ermuntert sie, für sich selbst die Unterstützung

des Gemeindepfarrers in Anspruch zu nehmen.

Weil ihr alles zu viel ist, ist sie froh, dass der Seel-

sorger den Kontakt herstellt.

Was hier beschrieben wird, ist interprofessio-

nelle, spirituelle Begleitung. Der Pfleger kümmert

GOTT WAR

VOR DEM MISSIONAR

SPEZIALSEELSORGE IM WANDEL

DIEU ÉTAIT LÀ

AVANT LE MISSIONNAIRE

L’AUMÔNERIE SPÉCIALISÉE FACE À DE NOUVEAUX DÉFIS

* Beauftragter Spezialseelsorge und Palliative Care