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Dossier —– ENSEMBLE 2017/20
Dr. rer. pol. Michael Marti ist Ökonom
sowie Partner des Beratungs- und Forschungs-
büros «Ecoplan» mit Schwerpunkt in der
Arbeits-, Sozial- und Wirtschaftspolitik. Ein
Gespräch mit einem Experten über die
gesellschaftliche Bedeutung der Kirche und
die Herausforderungen der Zukunft.
Von Adrian Hauser
Michael Marti, Sie waren Mitautor der Studie über
das Verhältnis der Kirche zum Staat, in dem auch
die gesellschaftlich relevanten Leistungen aufge-
führt sind. Was waren Ihre Haupterkenntnisse in
Bezug auf die gesellschaftlich relevanten Leistun-
gen der Kirchen?
Die Haupterkenntnisse waren, dass Angestell-
te der Kirchen Leistungen an der Gesellschaft er-
bringen und dass es auf der anderen Seite einen
beträchtlichen Anteil an Freiwilligenarbeit gibt,
der dabei unterstützend wirkt. Die Kirchen finan-
zieren aber auch Dritte, die dann wiederum ge-
sellschaftlich relevante Leistungen erbringen. Ich
denke dabei an die grossen Hilfswerke der Kirchen
wie HEKS oder Caritas.
Was sind das denn für Leistungen?
Das sind Leistungen wie Altersnachmittage,
Angebote für Kinder und Jugendliche, für sozial
Schwache oder für Personen im Migrationsbe-
reich. Doch auch Angebote wie Konzerte können
zu den gesellschaftlich relevanten Leistungen ge-
zählt werden. Ein anderer Aspekt ist jener der Öf-
fentlichkeitsarbeit, mit welcher die Kirchen als
gesellschaftlich relevante Akteure auftreten. Es ist
ganz klar, dass das eine gesellschaftliche Leistung
ist, auch wenn sie teilweise kritisch betrachtet
wird.
Welche kirchlichen Berufsgruppen erbringen diese
Leistungen für die Gesellschaft?
Das sind vor allem Personen, die in der Sozial-
diakonie arbeiten, aber ein Teil wird auch von den
Pfarrpersonen angeboten.
Welche Leistungen der Pfarrpersonen gelten als
gesellschaftlich relevant?
Die Seelsorge ist hier sicher ein Thema, wenn
auch ein kritisches. Wir haben uns Gedanken da-
rüber gemacht, ob dies als gesellschaftlich rele-
vante Leistung zu betrachten ist oder nicht. Letzt-
lich nehmen gewisse Leute lieber Hilfe von einer
Psychologin entgegen, andere gehen lieber zu
einem Pfarrer. Als Beispiel betrachten wir das Care
Team im Kanton Bern, das in Notfällen zum Einsatz
kommt und ein interdisziplinäres Team ist. Dies
schauen wir zwingend als gesellschaftlich rele-
vante Leistung an.
Welche Dienstleistungen an der Gesellschaft fallen
finanziell gesehen am meisten ins Gewicht?
Von den Leistungserbringern her gesehen, sind
es hauptsächlich jene der Angestellten. Dann kom-
men die Freiwilligen und zuletzt die Zuwendun-
gen an Dritte. Etwa 40 bis 45 Prozent fallen auf die
Angestellten, der Rest teilt sich unter den anderen
beiden Kategorien auf.
Dann erfolgt doch recht viel durch Freiwilligen
arbeit?
Ja, und es ist sicher ein Merkmal der Kirchen
im Vergleich zu vielen anderen Organisationen,
dass sie ein hohes Mass an Freiwilligenarbeit
generieren können. Die Frage ist, wie man das
bewerten soll. Hier haben wir nichts selbst er
funden, sondern verweisen gerne auf das Bun-
desamt für Statistik, das für verschiedene Arten
von Freiwilligenarbeit Stundenansätze be-
rechnet.
«DIE KIRCHEN HABEN
EINE NISCHE»
INTERVIEW
UNE NICHE
POUR LES ÉGLISES
INTERVIEW