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Dossier —– ENSEMBLE 2015/3
Interview von Adrian Hauser
Frau Grossholz-Fahrni, kürzlich erschien die Migra-
tionscharta der Gruppe «KircheNordSüdUntenLinks».
Wer steht hinter dieser Gruppierung?
Es handelt sich um eine Gruppe kirchlich en-
gagierter Menschen. Unter den Verfasserinnen
und Verfassern des Dokumentes befinden sich sehr
viele Theologinnen und Theologen, die in breiten
Diskussionen einen kirchlichen Ansatz für den
Umgang mit Migration in der heutigen Zeit ge-
sucht haben.
Wie kommen die teilweise extremen Forderungen
bei Ihnen an?
Grundsätzlich bin ich froh, wenn sich viele
kirchlich engagierte Leute Gedanken über die
wichtigen Themen Migration und Asyl machen.
Einige Grundaussagen des Dokuments finden sich
auch in den sieben migrationspolitischen Grund-
sätzen, die der Synodalrat 2012 verabschiedet und
den Kirchgemeinden zugesandt hat. So zum Bei-
spiel, dass vor Gott alle Menschen gleich und in
ihrer Würde unbedingt zu schützen sind. Oder
dass für alle Menschen die grundlegenden Rechte
gelten, sowie die Forderung nach Solidarität mit
Benachteiligten. Das Streben nach Gerechtigkeit
für alle wurde schon 2003 in der Globalisierungs-
policy des Synodalrats «Für die Globalisierung der
Gerechtigkeit» festgeschrieben.
Die Gruppe fordert in ihrer Charta insbesondere ein
freies Niederlassungsrecht mit weltweiter Geltung.
Eine Forderung, die politisch niemals durchsetzbar
sein wird. Was bringt eine solche Forderung?
Die Forderung ist eine Utopie. Ich befürchte
ein wenig, dass sie im politischen Hickhack dem
aus meiner Sicht heute äusserst wichtigen Recht
auf Asyl schadet. Andererseits scheinen Utopien
in der Gegenwart immer politisch nicht umsetzbar
zu sein. Als im 19. Jahrhundert die freie Niederlas-
sung innerhalb der Schweiz gesetzlich geregelt
wurde, schien schon dieser Schritt für viele Men-
schen nicht durchsetzbar. Heute gibt es die viel
weiter gehende Personenfreizügigkeit in ganz
Europa. Utopien sollen auch zum Nachdenken
anregen, sie sollen aufzeigen, wohin man sich
bewegen könnte.
Wie ist die Haltung der Reformierten Kirchen
Bern-Jura-Solothurn zum Niederlassungsrecht?
Der Synodalrat wird sich im vierten Quartal
mit der Migrationscharta auseinandersetzen, des-
halb gibt es dazu noch keine konsolidierte Hal-
tung.
Die Charta fordert auch eine sichtbare und lebendi-
ge Willkommenskultur. Wie kann eine solche Will-
kommenskultur konkret aussehen?
Pia Grossholz-Fahrni ist Synodalrätin
und Departementschefin OeME-Migration
(Ökumene, Mission, Entwicklungszu-
sammenarbeit, Migration). Ein Gespräch über
die kürzlich erschienene Migrations-
charta und die aktuellen Herausforderungen
im Asylwesen.
VISIONÄRES
HAT EINE
BIBLISCHE TRADITION
INTERVIEW MIT SYNODALRÄTIN PIA GROSSHOLZ-FAHRNI
LES APPROCHES VISIONNAIRES ONT UNE
TRADITION BIBLIQUE
INTERVIEW AVEC LA CONSEILLÈRE SYNODALE PIA GROSSHOLZ-FAHRNI