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Dossier —– ENSEMBLE 2015/3
E N G A G E M E N T I N D E N K I R C H G E M E I N D E N
Flüchtlinge werden zu Menschen
Rund 60 im Migrationsbereich aktive
Personen aus verschiedenen Kirchgemeinden
kamen an das Jahrestreffen des Netz-
werkes «Joint Future». Die Vielfalt und Grösse
des Engagements war beeindruckend.
Adrian Hauser
– Am 10. September fand im Haus der
Religionen in Bern das siebte Jahrestreffen des Netz-
werkes «Joint Future» statt. Es verbindet Personen
aus verschiedenen Kirchgemeinden der Reformier-
ten Kirchen Bern-Jura-Solothurn, die sich in der
Migrationsarbeit engagieren. Die Teilnehmenden
konnten in fünf Workshops verschiedene Themen
vertiefen und gegenseitig Erfahrungen austau-
schen. Es ging dabei um die Begleitung von Asyl-
suchenden und Flüchtlingen nach dem Aufenthalt
in Zentren, um ihre Akzeptanz in Bevölkerung und
Kirchgemeinde, um die Rolle der Kirchgemeinde
im Zusammenspiel der vielfältigen Akteure, um die
Integration von Zugezogenen in den Arbeitsmarkt
und um die gelebte Ökumene im Verein Kirche im
Haus der Religionen. Die Anwesenden konnten je-
weils zwei Workshops besuchen.
Vier Faktoren für den Erfolg
Durch die Medien bereits landläufig bekannt ist
die Kirchgemeinde Riggisberg, die in einem der
Workshops über ihre Erfahrungen berichtete. Es
war die einzige Gemeinde im Kanton Bern, die
freiwillig Unterkünfte für Asylbewerber zur Ver-
fügung stellte. Inzwischen ist das kleine Dorf im
Gantrischgebiet zu einem Modellfall geworden.
Anfang Juli führte sogar das traditionelle «Schul-
reisli» des Bundesrats in den Ort, wo 150 Asyl
suchende und 2500 Einwohner friedlich mitein-
ander leben.
Gemäss Dorfpfarrer Daniel Winkler steht der
Erfolg auf vier Säulen: eine positiv eingestellte
politische Behörde, eine für freiwilliges Engage-
ment offene Betreiberin des Durchgangszentrums,
eine engagierte Kirchgemeinde und engagierte
Freiwillige für das Schaffen von Begegnungsorten.
«In der Begegnung erhält das Gegenüber ein
menschliches Gesicht und verliert die Anonymität
als Teil einer Gruppe», erklärte Daniel Winkler.
In Riggisberg engagieren sich rund 50 Freiwil-
lige für die Asylsuchenden. Sie organisieren unter
anderem regelmässig ein Flüchtlingscafé, erteilen
Deutschunterricht, schaffen Bewegungs- und
Sportangebote oder Spielnachmittage für Kinder.
Die Kirchgemeinde stellt Infrastruktur und Räume
zur Verfügung, viele der Freiwilligen sind Kirch-
gemeindemitglieder. Wichtig ist für Daniel Wink-
ler, dass die Freiwilligen koordiniert und instruiert
werden.
Seriöse Vorbereitung
Dass grosses Engagement auch im Kleinen und
jenseits der medialen Aufmerksamkeit stattfinden
kann, zeigte Margaretha Glanzmann, Vizepräsi-
dentin und Ressortverantwortliche Sozialdiakonie
der Kirchgemeinde Kirchlindach. Unter der
Schirmherrschaft der Kirchgemeinde organisierte
eine Gruppe von Freiwilligen für eine achtköpfige
Familie aus Syrien «Obdach und Obhut». Die Fa-
milie hat nun nicht nur ein Dach über dem Kopf,
sondern erhält auch Begleitung und Hilfe im All-
tag. Dabei geht es um Schuleintritte der Kinder,
Begleitung zu Arztbesuchen, Integration in den
Alltag oder die berufliche Eingliederung.
Dies wird ermöglicht durch private Spenden
und tatkräftige Unterstützung von Menschen aus
Margaretha
Glanzmann (Mitte)
erzählt, wie ihre
Kirchgemeinde
eine syrische
Familie aufge-
nommen hat.
Margaretha Glanz-
mann (milieu)
explique comment
sa paroisse a
accueilli une
famille syrienne.
©Adrian Hauser