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Dossier —– ENSEMBLE 2016/12

Bilderbibeln sind nicht nur für Menschen

mit einer Hörbehinderung wertvoll, sondern

können auch Hörenden neue Welten er-

öffnen. Drei unterschiedliche Bilderbibeln,

die sich für Bibeltreffs eignen.

Von Andreas Fankhauser*

Die gehörlose Frau ist begeistert. Die biblische

Geschichte erschliesst sich ihr ohne erklärende

Worte. Bilder finden schneller den Weg zur Ver-

stehens- und Gefühlswelt von hörbehinderten

Menschen. Im Bibeltreff der Hörbehinderten­

gemeinde Bern sind Bilder deshalb unabdingbar.

«Graphic Novels» und «bandes dessinées» können

aber auch Hörenden neue Sichtweisen auf die be-

kannten Texte eröffnen.

Nahe am Text

Noah bleibt stumm. Die-

ser Umstand kommt bei

der Übersetzung der «Ge-

nesis» (2009) in Bildern

von Robert Crumb ganz

besonders eindrucksvoll

zur Geltung. Bei der gan-

zen Erzählung der Sint-

flut bleibt der Patriarch

dieser Geschichte stumm.

Noah sagt nicht ja. Er

führt aus. Gottes Wand-

lung im Handeln gegen-

über seiner Schöpfung kommt gut zum Ausdruck.

Der Zeichner hat in der englischen Originalaus-

gabe die King-James-Bibel und Robert Alters «The

Five Books Of Moses» (2004) verwendet und in der

deutschen Ausgabe wurde die Luther-Übersetzung

aus dem Jahr 1912 als Text-Grundlage beigezogen.

Der Zeichner bleibt bei seinen Bildern nahe am

Text.

Brudermord in Bildern

Bei der englischsprachigen «Graphic Novel» von

Chester Brown «Mary wept over the feet of Jesus»

(2016) handelt es sich um eine Übertragung aus-

gewählter biblischer Geschichten aus dem Ersten

und dem Zweiten Testament. Bei der Erzählung

des Mordes an seinem Bruder Abel wird die

eiweisshaltige Ernährung von Abel bildlich und

körperhaft sichtbar. Die Unterschiedlichkeit der

Brüder wirkt, wie sie vor Gott stehen, beeindru-

ckend. Beim weiteren Bild wird die Einsamkeit und

Verlassenheit von Kain auf einen Blick sichtbar,

nachdem er als Strafe für den Brudermord von

Gott verstossen wurde.

Visionärer Tierschützer

Die «bande dessinée» mit dem Titel «Noé» (2014)

von Niko Henrichon nimmt die biblische Geschich-

te der Sintflut als Ausgang. Diese wird frei weiter-

entwickelt. Noé hat Visionen, ist ein aktiver kämp-

ferischer Tierschützer. Noé ist eine Geschichte der

heutigen Zeit. Es wird auch aufgezeigt, dass ein

übersteigertes Sendungsbewusstsein im weiteren

Verlauf der Geschichte bis zur Verblendung zur

Unmenschlichkeit führen kann, wenn man der

Idee «mein Schöpfer will es» gefühllos und herzlos

folgt.

Es ist interessant, zeichnerische Geschichten

als Grundlage für Bibelarbeiten zu nehmen und

sie dann den biblischen Texten gegenüberzustel-

len. Wie wirken die Texte und Bilder auf uns? Was

für unterschiedliche Gefühle lösen sie jeweils aus?

Welche Bilder entstehen in unserem Kopf über

Gott und sein grosses Geheimnis?

Unterschiedliche Gottesbilder

Gott wird bei Robert Crumb als ein bärtiger

älterer Mann dargestellt. Bei Chester Brown

wird Gott als ein muskulöser Mann gezeichnet.

Bei Niko Henrichon ist Gott der grosse Ab­

wesende, nur sichtbar im Nachhinein in Form

einer Manifestation, zum Beispiel beim Keimen

des Weinstockes aus einer trockenen Wurzel.

B I L D E R B I B E L N

Zeichnerische Geschichten für Erwachsene

* Teamkoordinator Hörbehindertengemeinde

Noah von

Robert Crumb,

aus «Genesis».

Noé de Robert

Crumb, tiré de

«La Genèse».

Opfer von Kain und

Abel, aus «Mary wept

over the feet of Jesus»

von Chester Brown.

Offrande de Caïn et

Abel, tiré de «Mary

wept over the feet

of Jesus» de Chester

Brown.